Audiodatei zum Interview
Im Gespräch mit Hermine Poschmann über den Medikamententransport nach Kiew.
In vielen Köpfen verblasst der Krieg in der Ukraine bereits. Aber er ist noch nicht vorbei und nach wie vor sind die Menschen vor Ort auf Unterstützung angewiesen. Dazu zählt auch die Gewährleistung medizinischer Versorgung, denn in den Krankenhäusern im Kriegsgebiet mangelt es an Medikamenten und Verbandsmaterial. Hermine Poschmann, Projektmanagerin von Mission Lifeline, war mit am Medikamententransport am 11. Mai beteiligt und ist dafür bis nach Kiew gereist, um ein kleines Krankenhaus in Frontnähe zu beliefern. Im Interview erzählt sie, wie solch ein Transport in ein Kriegsgebiet abläuft, welche Eindrücke ihr besonders im Gedächtnis geblieben sind und warum sie nicht aufhören wird, die Menschen in der Ukraine weiter zu unterstützen.
Hermine, im Mai warst du mit an der Medikamentenlieferung in die Ukraine beteiligt. Wie läuft so ein Medikamententransport ab?
So ein Medikamententransport beginnt ziemlich bürokratisch. Im Vorfeld mussten wir erstmal Kontakt zu Ärzt:innen in der Ukraine aufnehmen, um herauszufinden, welche Medikamente vor Ort überhaupt gebraucht werden. Daraufhin wurden uns umfangreiche Bedarfslisten geschickt, worauf dann erstmal Übersetzungsarbeit folgte, weil natürlich alles auf ukrainisch war. Wir mussten die Listen anschließend mit der Landesdirektion Sachsen abstimmen, da es in Deutschland nicht jedem erlaubt ist, Medikamente zu bestellen. Außerdem mussten wir herausfinden, wo wir die Medikamente kaufen konnten und welche Mengen in Deutschland überhaupt vorrätig waren. Dafür haben wir Kooperationen, beispielsweise mit „Apotheker ohne Grenzen“ und Krankenhausapotheken, die uns dabei sehr unterstützt haben. Es war ein großer Aufwand, aber letztendlich hat alles wunderbar funktioniert. Währenddessen hat sich das Team auf die Fahrt vorbereitet. Es ist schon eine andere Hausnummer, wenn man in ein Kriegsgebiet fährt. Raketenangriffe geschehen dort tagtäglich, aber man kann nicht wirklich einschätzen, wo und wann sie passieren. Wir haben Ausrüstung, darunter Sicherheitswesten, Helme und Medipacks für das Team gekauft − für den Fall der Fälle. Am Ende haben wir die Fahrzeuge bis unter die Decke vollgestapelt und sind losgefahren. Wir mussten mit zwei Fahrzeugen fahren. Es handelte sich um gut 1,5 Tonnen Medikamente, die bekommt man so leicht nicht in einen Transporter.
Und dann ging es los in Richtung Ukraine?
Ja, erstmal über Polen in Richtung Lwiw/Lemberg. Bis zum Grenzübergang ging alles einfach und wir mussten dort nur zwei oder drei Stunden warten. Das ist relativ wenig. Als Medizintransport konnten wir schneller an der langen Schlange vorbei.
Was war das für ein Gefühl, nachdem ihr über die Grenze gefahren seid?
Ich glaube, für das komplette Team war es eine sehr skurrile Situation. Als wir in der Ukraine ankamen, wurde es schon dunkel und sobald wir die Grenze passiert hatten, trafen wir alle ein bis zwei Kilometer auf Straßen- und Panzersperren mitten auf der Straße. Und auf Soldaten, die dort mit Maschinengewehren standen und diese Posten bewachten. Es war super surreal das zu sehen und tatsächlich auch ein bisschen beklemmend.
War das dein erster Einsatz vor Ort oder kanntest du solch eine Situation schon von anderen Einsätzen?
Nein, in dieser Form habe ich das selbst noch nicht erlebt. Wir waren im Vorfeld zwar schon an Grenzübergängen in der Slowakei und in Polen, aber nicht im Kriegsgebiet drin. Klar sind an den Grenzübergängen auch Soldaten unterwegs, aber nicht in der Form wie innerhalb der Ukraine. Dort hat man richtig gemerkt: es ist ernst. Jede Seitenstraße war mit Panzersperren, Sandsäcken, Bunkern und Schießscharten ausgestattet. Ich fand das sehr surreal.
Ihr seid dann weiter durch die Ukraine Richtung Kiew gefahren. Welche Eindrücke sind dir unterwegs besonders im Gedächtnis geblieben?
Erstmal, wie ich eben bereits geschildert hatte, diese permanente Militär-Präsenz. Aber auf der anderen Seite auch die große Hilfsbereitschaft und Offenheit unterwegs. Als wir zum Beispiel in einen Stau kamen, sind ein paar Leute sofort mit uns ins Gespräch gekommen und wollten uns unterstützen. Das fand ich ziemlich beeindruckend. Kurz vor Irpin und Butscha kam dann unser erster Berührungspunkt mit komplett zerstörten Häusern und Straßen. Ich glaube, die Gräueltaten, die in Butscha passiert sind, sind allen Menschen bekannt. Irpin ist ein Nachbarort und nicht weniger betroffen. Wir sind direkt nach Irpin reingefahren und ich kann es kaum beschreiben, weil ich es immer noch nicht richtig fassen kann. Diese unvorstellbare Gewalt, die dort passiert sein musste, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Ich kann es nicht mit Worten beschreiben. Alles war zerschossen. Überall Einschusslöcher und Raketeneinschläge. Alles zerfetzt. Wahllos. Das waren Bilder, die sich sehr stark eingeprägt haben. Das werde ich vermutlich so schnell nicht vergessen.
Das kann man sich kaum vorstellen. Wohnen dort noch Menschen, die nicht geflohen sind?
Da wohnen noch Menschen und ich glaube, einige kehren langsam wieder zurück. Wir haben ein älteres Ehepaar direkt in einem der zerstörten Häuser angetroffen und uns mit ihnen unterhalten. Sie waren dabei zu schauen, was von ihrer Wohnung noch übriggeblieben ist.
Von Irpin aus war es nicht mehr weit bis nach Kiew. Konntet ihr die Medikamente dort wie geplant abliefern?
Ja, das hat wunderbar funktioniert. Es war ein sehr angenehmes Treffen. Die Menschen waren herzlich und haben sich natürlich auch riesig gefreut. Wir hatten uns in Kiew für die Medikamentenübergabe getroffen, weil das für unser Team sicherer war. Die Medikamente wurden von dort aus noch weiter in ein kleines Krankenhaus an die Frontlinie gebracht, in einen Ort namens Sumy. Für unser Team wäre es aber zu heftig gewesen bis dorthin zu fahren. Dafür sind wir weder geschult noch ausgebildet.
Darf ich dich noch fragen, wie es dir persönlich ein paar Wochen nach diesem Einsatz geht?
Diese Frage höre ich häufiger. Natürlich beschäftigt es einen, aber ich bin froh, dass ich in so einer Organisation wie Mission Lifeline arbeiten kann. Es geht auch weniger um mich, ich selbst bin nicht betroffen. Ich komme nicht aus diesem Kriegsgebiet − ich war nur mal kurz dort. Wir versuchen die Leute zu unterstützen, die tatsächlich von dem Krieg betroffen sind und denen es wirklich nicht gut geht. Ich bin daher eher in dem Modus, dass es weitergehen muss. Wir wissen, der Krieg ist noch nicht zu Ende. Wir stehen noch immer in Kontakt mit dem Krankenhaus und auch mit anderen Krankenhäusern in der Region. Es ist einfach noch nicht vorbei und wir wissen, wir können immer noch etwas tun. Das ist der Ansporn, dass wir weiter unterstützen können und damit nicht aufhören.
Das Gespräch führte Kathi Happel
Fotos: Johannes Räbel