31.03.2025
Das Police Cooperation Project (PCP) war ein internationales Programm mit dem Ziel, die Sicherheitslage in Afghanistan zu verbessern, afghanische Polizeikräfte auszubilden und die Rechtsstaatlichkeit im Land zu stärken. Mit Unterstützung der deutschen Regierung wurde versucht, eine gut ausgebildete Polizei aufzubauen, um den Weg zu dauerhaftem Frieden, Demokratie und einer stabilen Gesellschaft in Afghanistan zu ebnen.
PCP-Mitarbeiter:innen, wie Nisar haben mit Hingabe und Engagement daran gearbeitet, diese Ziele zu erreichen. Sie strebten danach, echte Sicherheit zu gewährleisten, Gerechtigkeit herzustellen und eine professionelle und ausgebildete Polizei zu schaffen. Durch den Fall der afghanischen Regierung und der Machtübernahme der Taliban im August 2021 jedoch, wurden all diese Bemühungen vollständig zerstört. Die Taliban hat nicht nur die Fortschritte des Programms zunichte gemacht, sondern auch die Leben der Mitarbeitenden in große Gefahr gebracht.
Von 2014 bis zum Fall Afghanistans widmete Nisar sein Leben dem Aufbau eines sicheren Afghanistans. Als Alphabetisierungsdozent im Police Cooperation Project (PCP), spielte er eine entscheidende Rolle dabei die afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden. Er vermittelte Menschenrechte, unterrichtete Lesen, Schreiben und Mathematik und lehrte notwendige Fähigkeiten, um die Polizeikräfte zu professionalisieren. Seine Arbeit war nicht nur ein Job, sondern eine Mission, für eine bessere Zukunft und ein stabiles Afghanistan.
Als jedoch die Taliban im August 2021 die Macht ergriff, brach alles zusammen. Jahre des Fortschritts waren in einem Augenblick zerstört. Die, die für die Demokratie und Sicherheit gearbeitet hatten, wurden zu gejagten. Nisar, einst ein Sinnbild für Hoffnung, wurde zu einem Mann auf der Flucht.
Nisar, der einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften hat und Vater von sechs Kindern ist, hat sein Leben auf Bildung und Engagement ausgerichtet. Er war ein bekanntes Gesicht in der Nangarhar Provinz. Er erschien häufig in Berichterstattungen zu Abschlussfeiern der Polizei und ermutigte mehr Afghan:innen, sich den Sicherheitskräften anzuschließen. Aber die Sichtbarkeit hatte einen hohen Preis. Die Taliban kannten seinen Name. Sie kannte sein Gesicht. Und sie wollten ihn tot sehen.
Seine Odyssee der Angst begann lange bevor Kabul fiel. Im Jahr 2018 schickte die Taliban ihm einen Drohbrief. Sie beschuldigten ihn, die afghanischen Polizeikräfte gegen sie bestärkt zu haben und forderten ihn auf, umgehend zu kündigen. Falls er weitermachen sollte, drohten sie ihm, er würde nicht lange genug leben, um es zu bereuen. Sein Arbeitgeber, die GIZ, versetze den gut ausgebildeten und talentierten Lehrer in eine andere Region, in der Hoffnung, ihn so zu schützen. Aber die Taliban vergaß nie seinen Namen.
Er überlebte mehrere Anschläge. Einmal verfolgten bewaffnete Männer sein Auto, zwangen ihn und seine Kollegen in einen fast tödlichen Unfall während sie versuchten zu entkommen. Ein anderes Mal platzierte die Taliban eine Bombe in seiner Schneiderei. Ein kleiner Nebenerwerb, den er begann, um sich von seinem gefährlichen Beruf für das PCP Projekt zu lösen. Diese Explosion zerstörte seinen Laden, aber glücklicherweise überlebte er. Selbst dann noch, weigerte er sich aufzugeben.
Er kämpfte nicht nur für seinen Job; er kämpfte für eine Zukunft, in der seine Kinder in Frieden aufwachsen könnten. Er setzte seine Arbeit fort, trotz des Wissens, dass jede Stunde, die er unterrichtete, jeder Polizist, den er ausbildete, ein weiterer Grund für die Taliban war, ihn zu töten.
Als die Taliban übernahm, änderte sich alles. Es gab kein Abschied nehmen, kein offizielles Ende. Nur Stille. Dann kamen die Suchen, Tür für Tür, biometrische Screenings, Namenslisten der Taliban. Sie wussten, wer er war, und jetzt hatten sie Zugriff auf jede Aufzeichnung, die dies bewies.
Er verschwand. Er ändert sein Aussehen. Er floh in ein abgelegenes Dorf, in dem niemand sein Gesicht kannte. Und während er das tat, kamen die Taliban zu seinem Zuhause. Sie durchsuchten sein Hause, aber er war nicht dort.
Er brauchte einen Ausweg. Er meldete sich beim Ortskräfteverfahren, in der Hoffnung auf Evakuierung, aber seine Hilferufe wurden mit Schweigen beantwortet. Die Monate zogen dahin, und mit ihnen die Angst. Seine Familie lebte in Unsicherheit, gefangen in einem Land, in dem jeder vergangene Tag, ihr letzter sein konnte. Nach Monaten erhielt er eine E-Mail vom Ortskräfteverfahren, um sich auszuweisen und seinen Fall zu überprüfen. Danach erhielt er keine Update. Eines nachts, während er online nach Hilfe suchte, fand er MISSION LIFELINE.
Von diesem Moment an, änderte sich alles. Die Organisation, die sich der Rettung von Leben verpflichtet hat, wurde seine einzige Hoffnung. MISSION LIFELINE stellte finanzielle Unterstützung für seine Familie bereit. Nach einem Jahr der Unterstützung und des Einsatzes von MISSION LIFELINE, wurde Nisars Familie im Juni 2023 endlich von der deutschen Regierung akzeptiert.
Aber der Kampf war noch lange nicht vorbei. Zwei seiner Kinder waren über 18 Jahre alt, nach deutschem Einwanderungsrecht waren sie deshalb kein Teil seiner Kernfamilie. Die deutsche Regierung verweigerte ihnen die Visa. Der Gedanke daran, sein Teenager Tochter in Afghanistan zurückzulassen, war für ihn unerträglich. Er befürchtete, die Taliban würde sie zur Heirat mit einem ihrer Kämpfer zwingen.
Unsere Mitarbeiter:innen weigerten sich aufzugeben. Wir leisteten Lobbyarbeit, übten Druck aus, und kämpften weiter für die Rechte des Mädchens. Im Oktober 2023 wurde ihr endlich ein Visum gewährt. Aber Nisars 22-jähriger Sohn blieb zurück und mit ihm ein Stück seines Herzens. Nisar ist sehr traurig darüber. Er hat Angst, dass die Taliban seinen Sohn einer Gehirnwäsche unterziehen, rekrutieren oder schlimmeres.
Am 09. März 2024, nach Jahren des Versteckens und Wartens, erreichten Nisar und seine Familie Pakistan. Dort verbrachten sie fast ein Jahr, während sie auf die Bearbeitung ihrer Papiere warteten. Dann am 28. Januar 2025 bestiegen sie ein Flugzeug nach Deutschland.
Als er deutschen Boden betrat, nahm er seinen ersten richtigen Atemzug seit Jahren. Er war in Sicherheit. Seine Familie war in Sicherheit. Aber seine Gedanken sind noch immer in Afghanistan, nach wie vor in Sorge über den Sohn, den er zurücklassen musste.
Nun in Deutschland baut Nisar sein Leben wieder auf. Er plant Bildung, Integration und eine Zukunft in einem Land, in dem die Angst ihn nicht mehr verfolgt. Doch sein Kampf ist nicht vorbei. Er träumt immer noch von dem Tag, an dem sein Sohn wieder zu ihnen kommt. Er träumt von einer Familie, die wieder vereint ist, jedoch gibt es darauf aktuell keine Hoffnung.
Diese Geschichte ist nicht nur seine. Es ist die Geschichte von Tausenden von Afghanen und Afghaninnen, die alles für eine besser Zukunft riskiert haben, um für deutsche Projekte in Afghanistan zu arbeiten, aber immer noch sind die meisten von ihnen zurückgelassen.
Es gibt immer noch zu viele Nisars da draußen, die auf ein Wunder warten, die darauf warten, dieses Gefängnis namens Afghanistan zu verlassen.
Ob Mittelmeer, Ukraine oder Afghanistan – wir unterstützen Menschen auf Flucht. Nur durch deine Hilfe können wir unsere Rettungseinsätze realisieren. Jeder Betrag bewirkt, dass wir Menschen in Seenot und aus anderen lebensbedrohlichen Situationen retten können.
Foto: MISSION LIFELINE
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