Denn sie wissen, was sie tun

Denn sie wissen, was sie tun

04. September 2020

Beitrag von Rechtsanwalt Johannes Lichdi, Dresden

Zweiter Akt: Der interne Entscheidungsweg zur Änderung der 19. Schiffssicherheitsverordnung

Das Bundesverkehrsministerium hat mit Wirkung vom 7. März 2020 die Schiffssicherheitsverordnung und die Sportbootverordnung geändert. Die neuen Regeln beschränken die Befreiung von einem Sicherheitszeugnis für Boote für „Sport- und Freizeitzwecke“ auf solche für „Sport- und Erholungszwecke“ (Bundesgesetzblatt I 2020, 412). Jetzt müssen Schiffe, die zwar nicht der Berufsausübung, aber auch nicht Sport und Erholung dienen, ein Sicherheitszeugnis vorlegen, um auslaufen zu dürfen. Minister Scheuer lässt behaupten, Motiv und Zweck der Änderung seien allein die Sicherheit der Personen an Bord und der Schifffahrt. Das ist eine glatte Lüge: Die Entscheidungsabläufe im BMVI und der Bundesregierung beweisen, dass es Minister Scheuer gerade darum ging, die Boote der Seenotrettungs-NGOs durch aufwendige Schiffssicherheitszeugnisse lahmzulegen. Dies zeigen interne Unterlagen des Verkehrsministeriums, die die Bürgerrechtsorganisation „Frag den Staat“ nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten hat.

I. Entscheidungsgang im Verkehrsministerium

Zur Vorgeschichte: Im April 2019 untersagte die zuständige Behörde, die „Dienststelle Schiffssicherheit“ der „Berufsgenossenschaft Verkehr“, das Auslaufen des Rettungsschiffs „Mare Liberum“. Denn weil das Boot für Seenotrettung und nicht für „Sport- und Freizeitzwecke“ eingesetzt werden solle, brauche es ein Schiffssicherheitszeugnis. Dagegen entschied das Oberverwaltungsgericht Hamburg im September 2019: „Freizeit“ erfasse auch „der persönlichen Entfaltung dienende politische Tätigkeiten, was gemeinnützige und humanitäre Tätigkeiten ohne weiteres einschließt“ (OVG Hamburg, Beschluss vom 5.9.2019, Aktenzeichen 3 Bs 124/19, S.9f.). Das Gericht stellte also fest, dass Seenotrettungsmissionen auch mit Sportbooten und Kleinfahrzeugen ohne Sicherheitszeugnis erlaubt sind.

  1. Rechtsänderung zum Nachteil der Flüchtlingsrettung

    Schon 12 Tage nach dieser Entscheidung schlug Ministerialdirektor Dr. Norbert Salomon, Abteilungsleiter Schifffahrt im Bundesverkehrsministerium, Minister Scheuer die Prüfung einer „Rechtsänderung“ vor, nämlich eine „Klarstellung“, „was unter den Begriff des Sport- und Freizeitzwecks zu subsumieren“ sei. Andernfalls könne „ein Betrieb bestimmter Schiffe zur Verfolgung professionalisierter Vereinszwecke (z.B. der Flüchtlingsrettung oder dem Umweltschutz) ohne Schiffssicherheitszeugnisse und damit faktisch ohne staatliche Kontrolle erfolgen. Dem ließe sich durch eine Änderung der Schiffssicherheitsverordnung entgegen wirken“, indem die Ausnahme für Freizeit-Kleinfahrzeuge eingeschränkt werde. „Eine solche Rechtsänderung sollte nur aus Sicherheitserwägungen heraus erfolgen.“ Denn: „Eine Spezialregelung nur für Boote, die zur Beobachtung und Rettung von Flüchtlingen eingesetzt werden, würde das BMVI (Verkehrsministerium, JL) in den Fokus der allgemeinpolitischen Flüchtlingsdebatte ziehen und würde auch weit über den Zuständigkeitsbereich des BMVI hinausgehen.“ Minister Scheuer stimmt diesem Vorgehen am 24.9.2019 zu.

  2. Begründung der Rechtsänderung

    Am 30.9.2019 schlägt Ministerialrat Jan Reche vom Referat WS23 eine konkrete Formulierung vor. Die Befreiung von Schiffssicherheitszeugnissen solle nicht mehr allgemein für Boote zu „Sport- und Freizeitzwecken“ gelten, sondern nur noch für Schiffe, die „ausschließlich für Sport- oder Erholungszwecke“ verwendet werden. Denn eine Befreiung könne „nur gerechtfertigt sein, wenn das Risikoprofil eines Schiffes signifikant geringer als in allen anderen geregelten Fällen“ sei. „Generell“ könne dies „nur angenommen werden, wenn der alleinige Einsatzzweck die private sportliche Betätigung oder Erholung ist. In diesen Fällen kann von einem geringeren Risikoprofil ausgegangen werden, da der Einsatz üblicherweise in räumlich begrenzten und bekannten Seegebieten. oft mit geringeren nautischen Herausforderungen und in beschränkten Zeitfenstern erfolgt.“ Dagegen könne „bei der Verfolgung anderer Zwecke, auch wenn diese in der Freizeit“ erfolgten, „ein geringeres Risikoprofil nicht generell angenommen werden. Dies gilt insbesondere auch für die von Vereinen zu anderen Zwecken professionalisiert eingesetzten Schiffe, zum Beispiel im Umweltschutz oder zur Flüchtlingsrettung.“ Weiterhin sollen nach der Ministervorlage vom 28.11. auch „Beobachtungsmissionen“ und „andere humanitäre Zwecke“ erfasst werden. Verkehrsminister Scheuer billigte diese Vorlage am 12.12.2019.

  3. Anregungen des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Seglerverbands DSV

    Das Vorgehen des Scheuer-Ministeriums in der Ressortabstimmung mit den anderen Ministerien und der Anhörung der Öffentlichkeit bestätigen, dass es gerade um die Verhinderung der Flüchtlingsrettung aus Seenot geht. Der Vorschlag des Außenministeriums, den Begriff der „Flüchtlingsrettung“ durch den weiteren der „Seenotrettung“ zu ersetzen, greift das Verkehrsministerium daher gerne auf. Der Deutsche Seglerverband schreibt am 30.1.2020, man verstehe zwar den „Wunsch“ des Verkehrsministeriums „strengere Sicherheitsvorschriften“ für „gezielte Seenotrettung“ einzuführen. Doch würde so jedes Sportboot, von dem etwa Wasserproben genommen, Müll aus dem Wasser gefischt oder ein abgetriebener Surfer aufgenommen würde, ein Schiffssicherheitszeugnis brauchen. Der Seglerverband schlägt daher vor, das Wörtchen „ausschließlich“ zu streichen und durch „überwiegend“ zu ersetzen oder aber eine „explizite Regelung bzgl. gezielter Seenotrettung“ zu schaffen. Die Ministerialen lehnen das ab. In einem Vermerk vom 3.2.2020 heißt es: „Damit hätten wir nichts gewonnen, sondern vielmehr einen Weg zur Nutzung von Sportbooten für die Flüchtlingsrettung geöffnet“. Dennoch will man dem einflussreichen Lobbyverband entgegen kommen und streicht das „ausschließlich“. In der Sache ändert sich damit aber nichts. Das Verkehrsministerium informierte am 7. Januar auch die Fraktionen des Bundestags, erhielt aber keinerlei Rückmeldungen oder Einwände, auch nicht von der Linken oder den Grünen.

II. Der Streit über die Anhörung der NGOs


Das Verkehrsministerium hielt die geplante Rechtsänderung gegenüber den betroffenen Seenotrettungsorganisationen geheim, „um deutlich zu machen, dass nicht die Flüchtlingsrettung, sondern die Herstellung von Rechtssicherheit bei der Zeugnispflicht im Grenzbereich von privatem und gewerblichem Schiffsbetrieb im Vordergrund steht“ (Internes Rundmail vom 7.2.2020, 9.53). Man versteckt sich hinter der Geschäftsordnung der Bundesregierung, die nur eine Anhörung von Spitzenverbänden auf Bundesebene vorsehe.

  1. Widerstand des Auswärtigen Amtes

    Allerdings riecht das Auswärtige Amt (AA) den Braten: Am 6. Februar nimmt es „die Stellungnahme des federführenden BMVI zu Kenntnis, dass keine Behinderung der Seenotrettung durch private Seenotretterinnen und -retter beabsichtigt sei“. Das Außenministerium schlägt aber „mit Blick auf das Gebot legislativer Transparenz“ vor, „dass auch Nichtregierungsorganisationen (zur Anhörung, JL) eingeladen werden, die sich in der Seenotrettung im Mittelmeer engagieren.“ Die um 14.10 Uhr versandte Mail beantwortet das Verkehrsressort bereits um 16.47 Uhr und beruft sich auf die besondere Eilbedürftigkeit und die Geschäftsordnung der Bundesregierung. Darauf stellt sich das Auswärtige Amt mit Mail um 18.06 Uhr quer: „Das Auswärtige Amt hält eine Vorabunterrichtung und -anhörung der betroffenen NGO auch im Hinblick auf Vertrauensschutzgesichtspunkte für notwendig. Wir erinnern an das erfolgreiche Verwaltungsstreitverfahren einer NRO in den Niederlanden, die sich eine Übergangsfrist erstritten hat, weil die Änderung ohne vorherige Unterrichtung und ohne Übergangsfrist erfolgte.“ Das AA könne die Vorlage „derzeit nicht mitzeichnen“. Die Verweigerung der Mitzeichnung hält das ganze Verfahren innerhalb der Bundesregierung an und ist das schärfste Schwert zwischen den Ministerien.

  2. Entscheidung im BMVI

    Nun regt sich sogar Widerstand in der Schifffahrtsabteilung. Das Referat WS 22 erklärt jetzt: „Insgesamt finde ich unglücklich, dass eine solch politisch sensible Regelung, die dazu führen wird, dass zwei NGO-Schiffe eine Festhalteverfügung durch die DS (Diensstelle Schiffssicherheit, JL) erhalten werden, in die 19. Schiffssicherheitsverordnung aufgenommen wurde und nicht separat in einem gesonderten Verordnungsvorhaben umgesetzt wird“ (Mail vom 7.2.2020, 12.09). Doch vergebens: aus einer Mail um 13.56 Uhr geht hervor, dass der Abteilungsleiter Dr. Salomon entschieden habe, die Verbände dennoch nicht anzuhören. Stattdessen solle „dem AA vorgeschlagen werden, dass man stattdessen die betroffenen Verbände und Vereine zu einem Infogespräch einladen könne.“ Mit dieser Entscheidung im Rücken versteigt sich das BMVI gegenüber dem AA zu bemerkenswert abwegigen Rechtsansichten: Es gebe „sicherlich keinen „Vertrauensschutz“ des Bürgers auf Beibehaltung von Auslegungen maßgeblicher Rechtsvorschriften durch Gerichte, die im Widerspruch zum Normzweck stehen und im Ergebnis zu nicht tragbaren Ergebnissen führen.“ Und weiter – durchaus kontrafaktisch: „Die geplante Regelung stellt wegen ihres über den Einzelfall hinausgehenden Anwendungsbereichs eben keine „Lex Alan Kurdi“ zur Verhinderung von privater Seenotrettung dar“ (Mail vom 8.2. (Samstag!, JL), 13.41). Zur Herstellung der geforderten „legislativen Transparenz“ werde vorgeschlagen, „etwa zeitgleich mit der Verkündung der Verordnung“, die NGOs zu einem „Informationsaustausch“ einzuladen. Am 11.2.2020 knickt das Außenministerium ein, obwohl der Vorschlag des BMVI gerade keine Anhörung vor Erlass der Rechtsverordnung vorsieht. Die Gründe bleiben unklar.

Fazit

Die Auswertung interner Akten beweist, dass das Verkehrsministerium, gebilligt und beauftragt von Minister Scheuer (CSU), die Schiffssicherheitsverordnung ändert, um den Seenotrettungs-NGOs, konkret auch der „Rise Above“ von Mission Lifeline, Sicherheitszeugnisse abzuverlangen, die diese absehbar nicht werden erbringen können. Es geht nicht um Schiffssicherheit, sondern um die „staatliche Kontrolle“ der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer – und zwar im Sinne ihrer Verhinderung. Die Verheimlichung vor den NGOs soll eine öffentliche Debatte verhindern. Leider ist dies gelungen, da auch die Oppositionsfraktionen von Linken und Grünen im Bundestag keinen Alarm geschlagen haben. Minister Scheuer handelt nach der Maxime: Wenn wir private Seenotrettung nicht schon auf dem Verwaltungswege verhindert können, dann ändern wir eben das entsprechende Recht! Es ist zu hoffen, dass die NGOs diese Rechtsverordnung vor Gericht werden kippen können.

Foto: Mission Lifeline

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