25. Mai 2021
Kolumne von Özge
Wir lieben es, uns Spitzenpolitiker*innen als personifizierte Parteien vorzustellen. Es macht die Dinge leicht: Wahlprogramme, Grundsatzpapiere und Parteitagsabstimmungen sind einfach eine ganze Ecke langweiliger als anderthalbminütige Schwachsinnsäußerungen einer Einzelperson, die man dann mit dem Hashtag #NieWieder[Partei] teilen kann. Wir sollten uns diese Vereinfachungen abgewöhnen. Und das kommt von einer Person, die wegen einer noch nicht mal anderthalbminütigen Schwachsinnsäußerung einer Einzelperson aus der Linkspartei ausgetreten ist.
Das Problem mit Baerbock ist also das Gleiche wie mit Habeck, Özdemir oder Hofreiter. Sie alle gehören einer Partei an, die jedes Mal, wenn sie in einer Machtposition war, aus dem sogenannten Sachzwang heraus im Ergebnis rechte Politik gemacht hat. Sie gehören einer Partei an, die heute immer noch den gleichen pro-militärischen Kurs fährt wie zu der Zeit, als sie die deutsche Armee das erste Mal seit 1945 in den Krieg schickte. Die in Hessen erst letzte Woche NSU-Akten weiter unter Verschluss halten ließ. Die die mörderischen europäischen Grenztruppen namens „Frontex“ erhalten will.
Wenn ein von den Grünen unterzeichneter Koalitionsvertrag den Ausbau der A49 vorsieht, ist das ein viel größerer Verrat, als wenn Tarek Al-Wazir das dann hinterher umsetzt. Wenn Auslandseinsätzen der Armee im Parlament mehrheitlich zugestimmt oder sich enthalten wird, ist das ein viel größerer Skandal, als wenn Robert Habeck – offensichtlich als kleiner Flirt Richtung CDU und FDP – von den Linken ein NATO-Bekenntnis fordert.
Dies ist in erster Linie eine Notiz an mich selbst, aber wer sich angesprochen fühlt, soll es mir gerne gleichtun: ich möchte weniger Einzelpersonen und mehr politische Praxis kritisieren. Nicht etwa aus Respekt gegenüber diesen Menschen – nichts läge mir ferner – sondern, um es mir eben nicht leichter zu machen, als es ist. Wer sich nämlich auf Diskussionen darüber einlässt, was das Problem mit Annalena Baerbock ist, hat weniger Zeit für Diskussionen darüber, was das Problem mit Frontex, der NATO oder der A49 ist. Diese Zeitverschwendung können wir uns nicht leisten.
Foto: Timo Schlüter