07. Mai 2021
Armin regierte sein Herzogtum mit strenger, aber fürsorglicher Hand. Durch kleine Aufmerksamkeiten und Gefallen spann er geschwind ein Netz von Abhängigkeiten und Unterstützern im Hof, so dass sein Einfluss stetig wuchs. Es begab sich jedoch, dass gegen Ende seiner erfolgreichen Regentschaft nicht nur eine neuartige Krankheit aus dem Morgenland sein Herrschaftsgebiet heimsuchte, sondern dass sich auch seine Regentschaft selbst dem Ende näherte. Doch mit der Magie seines Bergmannstalers ausgestattet, so dachte er, sollte seine Streben nach noch größerer politischer Macht von Erfolg gekrönt sein: Armin wollte den Thron.
Doch an verschiedenen Orten im Land wurde man seiner Ambitionen gewahr, langsam regte sich Widerstand. “Die Spinne” – so der Spitzname, den ihm seine Feinde aufgrund seiner beneidenswerten Netzwerkfähigkeiten verliehen hatten – “will wohl noch weiter nach oben kraxeln. Nicht, dass sie eines unvorhergesehenen Tages plötzlich abrutscht und hinunterfällt…” sinnierte sein größter Widersache Friedrich eines Nachmittags in seinem Arbeitszimmer, während die Wintersonne die vereisten und vereinsamten Grashalme der sauerländischen Ebenen zärtlich streichelte.
Es kam, wie es kommen musste: Der Ältestenrat bestimmte Armin, Friedrich und Norbert zum Kreis der Aspiranten um den Thron. Aus den Freunden der Anfangstage waren nun erbitterte Konkurrenten geworden. Sie sollten sich, so die Losung, beim nächsten Neumond in der Palasthalle einfinden und dort vor den Ältesten und dem Allmächtigen kundtun, was nun ausgerechnet sie befähige, die Macht im Reich zu übernehmen und die Geschicke des Königreichs zu lenken. Am Vorabend des Treffens saß Armin einsam und allein am Rhein. Sein getreuer Adlatus, der sagenumwobene Wolfgang verdingte sich inzwischen als Geschichtenerzähler in den Wirtshäusern der Hauptstadt, die Stimmung der Menschen war landauf landab gegen ihn gerichtet, weil er im Kampf gegen den Virus aus dem Morgenland einige unkonventionelle Maßnahmen ergriffen hatte. Wie der Fluss vor seinen Augen ruhig dahin floss, fiel ihm sogar ein Urteil über seine Amtsführung im Originalton ein, ein Straßenjunge hatte ihm diesen Ausspruch eines mächtigen Gegenspielers anlässlich eines Saufgelages im Palast brühwarm und im Austausch für einige Schilling berichten können: “Armins Politikstil, so viel steht fest, ist von so manierierter Einfältigkeit, dass sie bisweilen an selbst auferlegten Schwachsinn grenzt.” Worte können manchmal mehr verletzen als es Waffen je im Stande wären. Und so griff Armin mit einer langsam die Wange herunterkullernden Träne abermals in seine Börse, wo er den Bergmannstaler seit einigen Jahren aufbewahrte. Unwillkürlich rieb er ein wenig an dem Goldstück, als plötzlich ein Sturm aufzog. Die Bäume knirschten, der Rhein schlug schreckliche Wellen und der Wind blies ihm in die kleinen Ohren, da materialisierte sich plötzlich vor seinen Augen – er träumte nicht – ein kleiner Kobold, jedoch in Gestalt, Gesicht und Ausdruck der Augen Armin nur wohlbekannt. Nein, es gab keinen Zweifel mehr: Bei diesem Kobold handelte es sich um niemand anderen als den Altkanzler Dr. Helmut Kohl. “Du hast mich gerufen, Armin”, brummte der Kobold. “So soll mir dein Wunsch Befehl sein.” Armin staunte nicht schlecht. “Verehrter Kanzler, wie komme ich zu der Ehre?” fragte Armin verunsichert, nur um sich diese Frage im nächsten Augenblick selbst zu beantworten: Natürlich, er hatte an dem Bergmannstaler gerubbelt. Und nun war ihm also der Altkanzler erschienen. Dieser wiederum ignorierte diese dumme Frage von Armin und knabberte stattdessen gelangweilt an ein paar herrlichen Stücken Pfälzer Saumagen, die er sich in einer Tupperbox mitgebracht hatte. “Wenn ich das richtig sehe”, erklärte ihm Kohl mampfend, “dann haben wir morgen ein Problem: Sowohl Norbert als auch Friedrich sind – und das soll bitte keine Beleidigung sein – mit einigem Charisma mehr ausgestattet als du. Das heißt auch: Die beiden in ihrem Wohnzimmer zu schlagen wird schwierig bis unmöglich.” Armin nickte einsichtig. “Nun”, und Kohl fischte mit den Fingern nach einem weiteren Stück Saumagen, “wenn ich alles zusammenrechne, dann ist dein größter Vorteil…nun ja, der Bergmannstaler deines Vaters, nicht wahr? So lasse mich dir diesen einen Rat geben: Erzähle den Menschen da draußen endlich von diesem Taler. Sie werden dich mögen, es ist eine tolle Geschichte, die den Leuten ans Herz gehen wird.”
Und noch bevor Armin ein weiteres Wort sagen konnte, war der Kobold, der aussah wie Helmut Kohl, schon wieder verschwunden. Mit neuem Mut lief Armin die Rheinpromenade entlang bis zu seiner Staatskanzlei, binnen weniger Minuten entwarf er im Kopf die Rede, die er morgen im Palast beim Wettbewerb um die Thronnachfolge halten würde. Es würde die Rede seines Lebens werden, no doubt about it. Und auch der Bergmannstaler sollte seinen Auftritt haben, einen nicht zu kleinen sogar. Das berührte die Menschen, hatte der Kobold, der aussah wie Dr. Helmut Kohl, zu ihm gesagt. Armin lächelte: So sollte es ihm gelingen. Und er dachte daran, dass der größte Zaubertrick der Menschen darin bestand, einander das Herz zu öffnen. Wie es mit Armin weiterging und ob ihn seine Reise am Ende wirklich auf den Königsthron bugsieren sollte? Das ist eine Geschichte für einen anderen Tag…
Foto: Susi Bumms