05. Januar 2024
Der Bahnhof war völlig überfüllt, Chaos und Geschrei. Angst. Die Menschen schafften es irgendwie in Züge, ob mit Ticket oder ohne. Im Zug dann: Verdunkelte Scheiben, ein Sandwich von ein paar Volunteers, Eine Fahrt irgendwohin.
Die Fahrt führte von Charkiw nach Odesa. Die uns diese Geschichte erzählt, ist Ingenieurin. Der Mann gestorben, sie auf sich gestellt, die Augen kaputt, OP nötig, aber jetzt: Krieg. Dann schafft sie es nach Odesa, verliert ihr Auge nach mehreren Operationen. Sie sieht nichts, hat deshalb einen Autounfall.
Alles in ihrer Wohnung ist gespendet. Ihre Hose ist nicht ihre, ihr Pulli auch nicht, ihr Sofa nicht und ihr Herd nicht. Und trotzdem backt sie für uns auf diesem Ofen.
In Nova Kakhovka gibt es einen Zoo, und in dem Zoo gibt es kleine Kunstwerke, die hat jemand gemacht. Eine Künstlerin. Auch sie sitzt jetzt in einer kleinen Wohnung in Odesa. Familie hat sie nicht mehr, sie hat niemanden. Die Wohnung in Odesa ist nett, aber das täuscht: Sie kann sie sich nicht leisten, sie muss in ein paar Tagen raus. Wohin, weiß sie nicht.
Und dann die Englisch-Lehrerin. Sie kann es nicht begreifen, einfach nicht begreifen, dass Menschen auf Menschen schießen, die doch mal nichts getrennt hat und jetzt so viel verbinden müsste. Das ist Ludmilla. Sie ist fast 80. Sie hat Wochen mit Tochter und Enkel im Keller verbringen müssen, auch in Charkiw. Ihr Enkel hat ein Trauma erlitten. Sie lebt in einer Art Gartenlaube, es ist eng und kalt. Ludmillas Englisch ist perfekt, und sie ihre erzählt ihre Geschichte und ihren Appell an uns alle, die Welt zu versöhnen.
Sie hat die Nachbarin gebeten, für uns einen Apfelkuchen zu backen. Alle haben für uns gebacken, uns etwas geschenkt und uns danken wollen.
Wir sind wirklich in der Schuld dieser Menschen.
Foto: Johannes Räbel