22. Dezember 2020
Kolumne von Özge
Während sich die Republik mit dem Impfstoff, Weihnachten und verspäteten Schulschließungen befasst, wird demnächst ein Gesetz beschlossen, dessen Entwurf wieder mal mehr Fragen offenlässt, als er beantwortet – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Das sogenannte Lobbyregister soll für mehr Transparenz im Lobbyismus sorgen. An den entscheidenden Stellen bleibt der Blick ins Hinterzimmer aber versperrt wie eh und je. Und das ist auch genau so gewollt.
Es gehört zu den Sätzen, die jede Jurastudentin und jeder Jurastudent im ersten Semester zu hören bekommt: Recht bedeutet Macht – was man mit dieser Erkenntnis anfangen soll und wie sie bei der Gesetzesinterpretation weiterhilft, wird einem zwar nicht erklärt, aber das darf nicht verwundern. Dass Gesetze von der herrschenden Klasse für die herrschende Klasse gemacht werden, spielt bei der universitären Fallbearbeitung schließlich keine Rolle. Trotzdem ist uns allen klar, dass jedes Regelwerk, von der Bibel bis zum deutschen Sozialgesetzbuch, ein Produkt von Machtverhältnissen und den dazugehörigen Gerechtigkeitsvorstellungen ist.
Wenn Frauen zu den Besitztümern ihrer Ehemänner gehören, ist es recht und billig, dass sie in der Kirche den Mund halten müssen, 1 Kor 14:34. Wenn der Wert eines Menschen an seine Produktivität geknüpft ist, ist es recht und billig, dass junge Erwerbslose, die nicht mit dem Jobcenter kooperieren, in die völlige Mittellosigkeit getrieben werden dürfen, § 31a II S. 2 SGB II – im Übrigen eine Regelung, die im von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für seine Ausgewogenheit gelobten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Sanktionen unangetastet blieb.
Vor diesem Hintergrund muss man aber nicht nur untersuchen, was unsere Gesetze regeln, sondern vor allem, was sie gerade nicht regeln. Denn das Recht braucht die Macht, aber die Macht braucht das Recht nicht. Die Regelungen darüber, wie ein Gesetz zustande kommt, erwähnen den Verband der Automobilindustrie mit keinem Wort, aber woran die Verkehrswende scheitert, weiß hierzulande trotzdem jedes Kind. Das Genehmigungsverfahren für Rüstungsexporte sieht eine Beteiligung des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie nicht vor, aber während sich vor zwei Jahren 81 Prozent der Deutschen gegen Waffenexporte in Länder ausgesprochen haben, die am Jemen-Krieg beteiligt sind, genehmigte die Bundesregierung allein in diesen zwei Jahren Verkäufe nach Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, Kuwait und Bahrain im Gesamtwert von über einer Milliarde Euro.
Plakativ gesagt: das Volk ist nichts, die Lobby ist alles. Und weil das mit den ideologischen Prämissen der Demokratie nicht so ganz zusammenpasst, kommt es darauf an, das Gesetz an den entscheidenden Stellen schweigen zu lassen.
Dieses Schweigen scheint bald durch das Lobbyregister gebrochen zu werden, auf das sich die Große Koalition im September geeinigt hat. Der Gesetzesentwurf sieht allerdings weder eine unabhängige Aufsicht der Registerführung vor, noch sollen die Lobbyisten angeben müssen, mit welchen Amtsträgern sie in Kontakt stehen, welche konkreten Gesetze sie beeinflussen wollen, welche Maßnahmen sie dafür durchführen und wie viel sie sich das Ganze kosten lassen. Das sind essentielle Fragen, um die Mechanismen des Lobbyismus nachvollziehen zu können. Und sie bleiben auch in Zukunft unbeantwortet.
In unserer Zeit ist es nicht nur ein normaler und akzeptierter Vorgang, dass Kapitalinteressen demokratische Prozesse untergraben. Es muss auch in zähen Auseinandersetzungen darum gerungen werden, dass dieser Vorgang wenigstens offengelegt wird. Das Lobbyregister ist also höchstens ein mikroskopisch kleiner Schritt in die richtige Richtung – und gerade aufgrund seiner Mängel ein Lehrstück darüber, wie wenig die herrschende Klasse auf demokratische Legitimation angewiesen ist.
Foto: Özge