27. November 2021
Der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan und die Übernahme der Macht durch die Taliban im August hat weltweit einige Zeit die Aufmerksamkeit auf Afghanistan und die dort zurückgelassenen Menschen gerichtet. Als eine in der Öffentlichkeit stehende Flüchtlingshilfsorganisation erreichten auch uns binnen weniger Wochen tausende E-Mails, Direktnachrichten und Anrufe mit verzweifelten Hilferufen aus dem ganzen Land. Unser eigentlich auf Seenotrettung spezialisiertes Team beantwortete über Wochen rund um die Uhr Anfragen, versuchte zu vermitteln, zu beraten und wie auch immer zu helfen. Mittlerweile sind Monate vergangen, und die Situation in Afghanistan ist noch schlimmer als wir uns das je vorstellen konnten. Die Augenzeugenberichte und Dokumente, die uns vorliegen, zeigen, dass die Furcht tausender Afghan:innen vor einem Genozid durch die Taliban begründet ist. Gleichzeitig schränkt die geschäftsführende Bundesregierung die Möglichkeiten zur Flucht in Kooperation mit den Anrainerstaaten Afghanistans immer weiter ein. Das Versprechen, möglichst viele Menschen zu retten, erweist sich als leere Phrase. Umso wichtiger bleiben zivilgesellschaftliche Initiativen, die auf Menschenrechten für alle bestehen und weiter konkrete humanitäre Hilfe leisten.
Seit August konnten wir in Zusammenarbeit mit der Initiative „Omas gegen rechts“ Menschen aus Afghanistan retten. Ahmad Samim Jabari, den wir zusammen mit seiner Familie dank privater Unterstützung als ersten nach Deutschland evakuieren konnten, hilft uns genauso wie viele andere Menschen dabei, notwendige Kosten zu übernehmen. Vor fast jeder Rettung müssen wir über Rechtsanwälte mit Ministerien streiten, und das, obwohl in all den Fällen, um die wir uns bemühen, eindeutige Rechtsansprüche auf Aufnahme bestehen. Wir möchten dennoch nicht verschweigen, dass wir viele Enttäuschungen erleben. Familien werden zerrissen, auch weil in Deutschland das Prinzip der “Kernfamilie” (Vater, Mutter, minderjähriges Kind) bis aufs (fremde) Blut verteidigt wird. Und die Taliban werden nicht darauf verzichten, an zurückgelassenen Brüdern, Schwestern, Eltern und Großeltern brutale Rache zu üben.
“Mission accomplished”, rief Generalleutnant Erich Pfeffer im Sommer den soeben aus einem den Taliban überlassenen Land abgezogenen deutschen Truppen zu. Wirklich Deutschland? Auftrag ausgeführt? Nach uns die Sintflut? Nicht für uns. Wir ziehen uns grundsätzlich nicht einfach zurück, wenn Menschen Hilfe brauchen. Wir retten weiter, weil jedes Leben zählt! Für Ihre Unterstützung dabei bedanken wir uns sehr sehr herzlich!
Herzlichst
Axel Steier
Foto Header: Achim Schmidt