14. April 2022
Mit ihnen wollte der Westen Afghanistan aufbauen: afghanische Bauunternehmer, die unter großen Gefahren das Land modernisierten. Auch für die deutsche Entwicklungshilfe waren sie unentbehrlich. Aus Angst vor den Taliban wollen sie Afghanistan nun verlassen – auf Hilfe von ihren ehemaligen Auftraggebern warten sie aber vergeblich.
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Der Brief ist auf schlechtem Papier geschrieben, die Handschrift unsauber. Nur der Briefkopf ist in geraden Zeilen auf das Blatt gedruckt. Der Absender: Das Islamische Emirat Afghanistan – so bezeichneten sich die Taliban schon bevor sie das Land vollständig unter ihre Kontrolle brachten. Das Schreiben ist eine unverhohlene Drohung an Mubasher und seine Familie: Sollte der Bauunternehmer weiterhin Aufträge der Regierung und westlicher Hilfsorganisationen annehmen, würde dies tödlich für ihn enden.
Mubasher nahm den Brief nicht ernst. Schon einmal hatten die Taliban eine solche Warnung unter seine Haustür geschoben – das Schreiben blieb ohne Folgen. Für Angst blieb dem Unternehmer auch gar keine Zeit: Obwohl die Taliban im Kampf gegen die Regierung an Boden gewannen, wurden immer noch Milliardensummen investiert, um das Land in die Moderne zu hieven. Neue Schulen, Straßen oder Stromtrassen – für fleißige Unternehmer wie Mubasher gab es immer zu tun. Als das nächste Mal Post von den Taliban kam, explodierte ein Paket in Mubashers Händen und riss ihm zwei Finger ab. Seitdem nimmt er die Taliban ernst.
Im August 2021 eroberten die Gotteskrieger Kabul schließlich im Handstreich. Mit dem Fall der Hauptstadt brach die afghanische Regierung endgültig zusammen und überließ den Extremisten das Land. Die ehemaligen Aufständischen waren nun an der Macht – und auf Rache aus. Ehemalige Militärs und Regierungsbeamte verließen fluchtartig das Land oder tauchten unter. Auch Afghanen, die mit westlichen Organisationen zusammengearbeitet hatten, waren und sind in Gefahr. „Die Taliban sehen in uns niemanden, der ihnen helfen könnte, das Land aufzubauen. Stattdessen verfolgen sie uns“, sagt Mubasher.
Nachdem die Taliban Kabul gestürmt hatten, schicken ihm Unbekannte Morddrohungen über WhatsApp und Facebook. Besorgt floh Mubasher mit Frau und Kindern, seinen drei Brüdern und den Eltern nach Pakistan. Doch schon bald wurde der Großfamilie das Exil zu teuer, die Geldnot zwang sie zurück nach Afghanistan. Seine Angst vor den Taliban ist nun so groß, dass er einen echten Namen nicht gedruckt sehen will.
Weil Mubasher auch für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) baute, sieht er die Bundesregierung nun in der Pflicht. Anträge müssen über die deutschen Arbeitgeber gestellt werden, also wandte sich Mubasher an die GIZ. Er wartet bis heute auf eine Antwort. Wie viele Afghanen, die durch Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen den Zorn der Taliban auf sich zogen, fühlt sich Mubasher im Stich gelassen.
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Zu den Verfolgten gehört auch Najmuddin – auch er heißt eigentlich anders. Sein Familienunternehmen arbeitete ab 2008 mit den Deutschen zusammen. Er berichtet, dass er mehrere Aufträge der GIZ angenommen und an Projekten gearbeitet hat, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) finanziert wurden.
Lange konnte Najmuddin sich mit den Taliban arrangieren: Die Aufständischen erhielten Schutzgelder, um seine Firma gewähren zu lassen. Dann weigerte sich die Firma, für ein Bauvorhaben in einer entlegenen Provinz ihre Sicherheit zu erkaufen, und die Taliban entführten Mitarbeiter vor Ort. Als das afghanische Militär eingriff und mehrere Aufständische tötete, wurde Najmuddins Familie zu erklärten Feinden der Taliban.
Kurz nachdem die Extremisten in Kabul einmarschiert waren, tauchte Najmuddin unter. Seit Monaten wechselt er alle paar Wochen das Versteck, kommt mal bei Verwandten unter und mal bei Freunden. Nirgendwo fühlt er sich sicher. Um seine Frau und Tochter nicht zu gefährden, lebt er meist getrennt von ihnen. Die Einsamkeit ist groß, aber die Angst ist größer. „Wenn wir es nicht schaffen, das Land zu verlassen, dann werden sie uns töten“, sagt Najmuddin. Verzweifelt sucht er nach einem Ausweg.
Afghanische Ortskräfte können ein deutsches Visum nur durch ihre Arbeitgeber beantragen. Schon im Oktober stellte Najmuddin bei der GIZ einen Antrag, auch bei KfW bewarb er sich um ein Visum. Doch obwohl die GIZ eigens eine Abteilung zum Bearbeiten von Ausnahmeverfahren eingerichtet hatte, blieb eine Antwort aus. Najmuddin bat seine Kontakte in der GIZ und der KfW um Auskunft, diese leiteten sein Anliegen intern weiter.
„Es muss möglich gemacht werden, den Ortskräften zumindest eine klare Rückmeldung zu ihrem Antrag in angemessener Zeit zu geben“, schreibt einer frustriert, „insbesondere, wenn diese schildern, unter direkter Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban zu stehen.“
Geholfen hat es nichts, Najmuddin wartet weiter. So weiß er gar nicht, dass Visumanträge, die nach dem Machtwechsel gestellt wurden, von der Bundesregierung nicht bearbeitet werden – eine Entscheidung, die tausenden bedrohten Ortskräften die Flucht vor den Taliban unmöglich macht.
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Doch nicht jeder, der für internationale Hilfsorganisationen arbeitet, sorgt sich um seine Sicherheit. „Die Taliban wollen mit uns arbeiten. Ich habe mich erst gestern mit ihnen getroffen, sie brauchen unsere Hilfe“, sagt ein Mitarbeiter einer Baugesellschaft. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) arbeit er in Jalalabad im Osten Afghanistans an zwei Projekten, die Bauern mit Nothilfe versorgen.
Jetzt wo die ehemaligen Aufständischen die Regierung stellen, ist die Gefahr von Anschlägen gebannt. „Früher konnte ich in vielen Provinzen nicht ohne Angst arbeiten. Jetzt fühle ich mich sicher“, sagt der Mann.
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Riazullah Wali fühlt sich nicht sicher. „Einen Monat nach dem Sieg der Taliban kam ein Mann auf meine Tochter zu und sagte ihr, dass man mich umbringen würde“, sagt der Projektmanager der Rural Rehabilitation Association for Afghanistan (RRAA).
Über fünfzehn Jahre baute die Firma für internationale Hilfsorganisation und das BMZ. Weil sie auch vom US-Militär Aufträge annahmen, zogen sie den Zorn der Taliban auf sich. Deren Führung beteuert zwar, alte Fehden nicht begleichen zu wollen, aber Hoffnung, dass die Taliban diesem Versprechen nachkommen, hat Wali keine. „Wir haben gehofft, dass die Taliban sich geändert haben, aber sie werden sich nie ändern. Sie sind von ihrem Fanatismus getrieben“, sagt er.
Nach der Machtübernahme der Taliban haben Wali und seine Kollegen alles versucht, um ein Visum in ein westliches Land zu erhalten. Doch alle Anträge scheiterten bislang, auch die deutschen Behörden blieben hart.
Seine Heimat verlassen will Wali eigentlich nicht – eine Wahl hat er aber keine, sagt er: „Wir sind in den letzten Jahren viel gereist – ich war schon in den USA, in Europa. Der Gedanke, dort zu bleiben, ist uns nie gekommen. Wir wollten helfen, Afghanistan aufzubauen – aber jetzt müssen wir hier raus.“
Foto: Philipp Breu