23. September 2021
Aber es ist so: In der Nacht zum Samstag stiegen die beiden gemeinsam im pakistanischen Lahore ins Flugzeug. Nach Zwischenlandung kamen sie am Abend am Flughafen Düsseldorf an. Es war auf den Tag genau der 23. Geburtstag von Fereshta.
Auch wenn das Ende der Geschichte romantisch klingt: Vergessen ist nicht, wie viele Hürden davor lagen. Der 38-jährige Adib S., Softwareentwickler von Beruf, kann viel darüber erzählen: vom langen Warten auf einen Termin bei der Deutschen Botschaft in Neu Delhi. Vom vergeigten Sprachtest seiner Frau beim Goethe-Institut, der zu einer neuen Abweisung führte. Von den vielen Briefen, die seine Anwältin Christine Hunger aus Aachen geschrieben hat, den Schriftsätzen für die Gerichte. Den immer wieder enttäuschten Hoffnungen. Den immer wieder neuen Anläufen. Immer wieder warten.
Ende August hat der Autor dieser Kolumne in einer Reportage für die „taz“ den Fall beschrieben. Fereshta S. war damals eine von 4173 Afghan:innen, die auf den „Terminwartelisten“ für die Vorsprache zur Beantragung des Familiennachzugs bei den Deutschen Botschaften in Islamabad und Neu Delhi standen – die Konsularabteilung der inzwischen ganz geschlossenen Botschaft in Kabul hatte 2017 nach einem Bombenanschlag dicht gemacht.
Der Anwältin von Fereshta S. gelang es im August, einen „Deal“ mit dem Auswärtigen Amt auszuhandeln: Rücknahme der Klage, dafür Zusage für ein Visum. Ausgestattet mit einer Verbalnote der Botschaft in Islamabad reiste Fereshta S., begleitet von ihrem Vater, auf dem Landweg zum afghanisch-pakistanischen Grenzort Torkham. Noch einmal umgerechnet 600 Euro Bestechungsgeld musste sie zahlen, um nach mehreren Stunden des Wartens über die Grenze gelassen zu werden, wo sie ihr glücklicher Ehemann in Empfang nahm. Ein paar Tage später stellte die Botschaft in Islamabad das Visum nach einer Sicherheitsüberprüfung aus.
Wer sich aktuell mit der Situation in Afghanistan beschäftigt, dem Bemühen um die Ausreise von Ortskräften der Bundeswehr, der GIZ und anderen Institutionen, den Chancen für Menschrechtler:innen, dem Taliban-Regime zu entkommen, oder dem Familiennachzug, kann viele Fälle wie den der Eheleute S. erzählen. Aber noch längst nicht alle mit Happy End, vielleicht sogar die wenigsten.
Am Montag lud die Hilfsorganisation Terre des Hommes zu einem Pressegespräch zum Thema Afghanistan ins Nebenzimmer eines Cafés an der Berliner Kurfürstenstraße ein – den großen Auftritt vor der Bundespressekonferenz hatte man den Initiator:innen versagt. Die Resonanz zeigte ganz gut, wie sehr die humanitäre Katastrophe am Hindukusch schon wieder aus den Schlagzeilen gerät. Vier Journalist:innen waren gekommen. Und sie hörten die Klagen, dass Afghanistan etwa bei den Wahlkampf-Triellen mit Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz praktisch keine Rolle gespielt habe.
Der Rechtsanwalt Matthias Lehnert, Vorstandsmitglied im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, sieht im Zusammenhang mit den Evakuierungen aus Afghanistan eine „Blockadepolitik verschiedener involvierter Ministerien“. Er nennt vor allem das (noch) vom CSU-Politiker Horst Seehofer geführte Heimatministerium, das auch aus Sicht von Terre des Hommes als „Bremsklotz“ wirkt. Von Willkür ist die Rede. Von „Zufallstreffern“, wenn gefährdete Personen versuchen, auf eine Evakuierungsliste zu kommen. „Es scheint so, dass das Chaos irgendwie politisch gewollt zu sein scheint“, sagt Lehnert.
Die Filmemacherin Feo Aladag hat den Hauptdarsteller ihres Kinospielfilms „Zwischen Welten“ mitgebracht, Mohsin Ahmadi, dabei auch dessen Frau und das erst ein paar Wochen alte Baby. Familie Ahmadi, die bisher in einem Vorort von Masar-e Scharif lebte, hat die Ausreise geschafft. Zwar nicht, wie ursprünglich geplant, mit dem Rettungsflugzeug der „Kabul Luftbrücke“. Aber dann doch, nach mehreren Nächten in Kabul, mit einer US-amerikanischen Militärmaschine in die saudi-arabische Hauptstadt Riad. Dort tagelanges Warten. Dann Flug zur US-Militärbasis Ramstein in der Pfalz. Warten. Inzwischen lebt die Familie in einer Erstaufnahmeeinrichtung in einer ehemaligen Kaserne im niedersächsischen Bad Fallingbostel. Und wartet, wie es weitergeht. Filmemacherin Aladag sagt, es sei ernüchternd und frustrierend, wie die Schuld von Behörden und Politik immer wieder von A nach B geschoben werde: „Das System, in dem ich lebe, hält sein Wort nicht.“
Die Anwältin von Fereshta S., Christine Hunger, sagt über die nach wie vor bestehenden Probleme beim Familiennachzug: „Der Verdacht liegt nahe, dass durch absurd lange Warte- und Bearbeitungszeiten verdeckt ein rigider Kurs in der Migrationspolitik durchgesetzt werden soll. Man darf aber nicht durch die Hintertür die Gesetze unterlaufen. Zumindest nicht in einem Rechtsstaat.“ Hunger erinnert daran, dass auch von ihrer Klientin immer wieder ein Sprachzertifikat verlangt wurde – auch zum Zeitpunkt, als die Taliban das Land längst überrannten. Unabhängig von der rechtlichen Situation führe die „Familiennachzugsbürokratie“ für die betroffenen Menschen zu einer „psychischen Tortur“.
Tatsächlich galt ein zertifizierter Sprachtest etwa beim Goethe-Institut in Neu Delhi lange als grundsätzliche Voraussetzung für die Erteilung eines Visums für den Familiennachzug, dies wurde noch Ende August aus dem Auswärtigen Amt so kommuniziert. Zwar wird die Vorschrift später gelockert. Doch immer noch heißt es aus dem AA, dass hinreichende Sprachkenntnisse im Rahmen des Visaverfahrens „alternativ glaubhaft gemacht werden“ sollten. Dass Deutsch nicht nach Ankunft in Deutschland gelernt werden kann, hält die Linken-Politikerin Gökay Akbulut unter den Bedingungen der Taliban-Herrschaft für unzumutbar und zynisch.
Adib S., der Ehemann von Fereshta, hat das zigfache Drama erst vor ein paar Tagen in der Warteschlange vor der Deutschen Botschaft in Islamabad beobachten können. „Eine Frau hat drei Jahre lang auf einen Termin gewartet. Ich wollte das fast nicht glauben. Andere hatten gar keinen Termin und versuchten trotzdem, für ihre in Afghanistan lebenden Angehörigen vorzusprechen. Die standen vor verschlossenen Türen und wussten überhaupt nicht, was sie machen sollen.“
Sein privates Happy End hin oder her: Adib S. bleibt ernüchtert. Er sagt: „Das Thema Afghanistan verschwindet so langsam wieder aus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Bürokratie nimmt ihren alten Lauf.“