05. Februar 2021
Immer, wenn ich auf die Idee komme, zu Themen wie der ziemlich verunglückten WDR-Sendung “Die Letzte Instanz” sowie der Debatte danach etwas schreiben zu wollen, denke ich mir irgendwann: “Origineller Einfall, aber glaubst du nicht, dass es viele Menschen gibt, die dazu besser und fundierter schreiben können als du?” Meistens lasse ich es dann und überlege mir ein anderes Thema.
In der heutigen Kolumne möchte ich jedoch eine Ausnahme machen. In der als Unterhaltungsshow angelegten Sendung diskutierten fünf Menschen ohne Rassismuserfahrungen (Steffen Hallaschka, Jürgen Milski, Micky Beisenherz, Janine Kunze und Thomas Gottschalk) unter anderem darüber, ob “ZSauce” anders zu nennen übertrieben und “nervig” sei, nur weil sich einige wenige vom Wort Z diskriminiert fühlten. Am Wochenende entflammte die Diskussion dazu dann so richtig, danach entschuldigten sich der WDR, Micky Beisenherz und Janine Kunze und gelobten für die Zukunft Besserung. Eine der Hauptkritiken an der Sendung lautete: Warum diskutiert man Themen wie Rassismus und das Wort Z* ohne dazu Betroffene einzuladen? Das erinnerte mich auch an mich, da ich, wie oben schon angedeutet, oftmals selbst überlege, zu welchen Themen ich mich äußern sollte und zu welchen nicht: Ist es überhaupt relevant, was ich als Weißer über Rassismus denke? Muss ich jetzt wirklich auch noch Aufmerksamkeit abgreifen in einer Diskussion, in der ohnehin schon zu viele gesellschaftlich Überrepräsentierte zu Wort kommen?
Eigentlich nicht. Und dann eigentlich doch. Erstens macht das Zögern und die Zurückhaltung von Menschen wie mir, die sich in bestimmten Themenfeldern wie etwa Rassismus nur bedingt sprechfähig sehen, Talkshow-Zusammenkünfte von Menschen, die sich prinzipiell zu allem Möglichen sprechfähig fühlen, auf lange Sicht wahrscheinlicher. Und das kann niemand ernsthaft wollen.
Zweitens kann die Arbeit an einer weniger – bis in irgendeiner fernen Zukunft überhaupt nicht mehr – rassistischen Gesellschaft nicht die exklusive Aufgabe von People of Color bleiben, während Leute wie ich sich jede Woche ganz in Ruhe überlegen können, ob sie noch einen satirischen Text über Friedrich Merz oder “auch mal wieder was gegen diesen Rassismus” schreiben wollen. Nein, Antirassismus ist kein Hobby, dem man sich nach Lust und Laune widmen kann, sondern etwas, an dem man mit allen, die auch lieber in einer antirassistischen Welt leben möchten, gemeinsam arbeiten muss. Und das kriege ich auch bei weitem noch nicht so gut hin, wie es eigentlich sein sollte.
Drittens bedeutet konsequenter Antirassismus eben auch Konflikte mit Menschen in Kauf zu nehmen, mit denen man sich doch sonst eigentlich gut versteht. Für konfliktscheue Menschen wie mich ein doppeltes Problem. So bin ich zum Beispiel mit einem derjenigen, die dort in der Runde saßen, nämlich Micky Beisenherz, freundschaftlich verbunden. Was also tun, wenn jemand, mit dem man sich gut versteht, verrennt? Ich habe ihm nach kurzem Überlegen eine Nachricht geschrieben, in der ich meinen Standpunkt zu dem Thema vertreten habe.
Viertens ist aber auch dieses Beispiel eines, das nur unter bestimmten Vorraussetzungen, genauer: Privilegien, funktionieren kann. Denn dass sich zwei Humor-Männer gegenseitig nette Nachrichten schreiben hat ja am Ende noch nicht so viel mit Antirassismus zu tun. Ein Beispiel für konsequente Haltung ist die afrodeutsche Autorin Jasmina Kuhnke, auf Twitter @quattromilf, die die Kritik am WDR in den letzten Tagen mit am lautesten und dringlichsten vorgetragen hat. Entgegen der unterirdischen Kritik, die neulich im Tagesspiegel gedruckt wurde und nach der Kuhnke das “Schwarzsein zum Geschäftsmodell” erhoben habe, kann man sich eigentlich sicher sein, dass ihre Äußerungen nun nicht zu einem plötzlich Anstieg von Aufträgen aus dem WDR führen werden. Wer das – und darüber hinaus schon vorher die vielen Drohungen und Hassnachrichten gegen sich selbst und die eigene Familie – in Kauf nimmt, die meint es ernst. Und ganz nebenbei: Welches Fundament soll der Vorwurf, dass jemand mit antirassistischen Inhalten Geld verdiene, überhaupt haben? Macht das Geldverdienen den Aktivismus weniger aufrichtig, weil Antirassismus nur echt sein kann, wenn man damit kein Geld verdient? Habe ich etwa ein ganzes Genre an Kulturprodukten verpasst, in dem in den letzten Jahrzehnten mit Schwarzsein genauso viel Geld verdient wurde wie mit dem normalisierten sogenannten “Alltagsrassismus” etwa in der deutschen Mehrheitsgesellschafts-Comedy oder rechten Bloggern in liberalen Tageszeitungen?
Fünftens kann man’s auch zerdenken. Gestern noch habe ich überlegt ob, man vielleicht einen Kommunikationsfehler macht, wenn man Leuten wie Jürgen Milski und Janine Kunze ständig mit Universitäts-Sprache und superschlauen Studien um die Ecke kommen will. Wenn Menschen – und so lassen sich die Äußerungen der beiden interpretieren – ihre Positionen und Werte in erster Linie über Selbst-Erlebtes und persönliche Anekdoten aus dem Raum Köln beziehen, wäre das vielleicht ein Punkt, den man für die Kommunikation verwerten könnte – wobei klar ist, dass sich rassistisches Gedankengut nicht auf bestimmte Milieus beschränkt. Statt Milski also nach einem Auftritt in einer Mehrzweckhalle abzufangen und damit zu konfrontieren, dass “Sprache Realität schafft” und wir an die “Strukturen ran müssen”, könnte man doch also Bilder finden, mit denen wir alle was anfangen können. Aber wie geht das überhaupt? Und was wäre die Konsequenz? Wahrscheinlich: Eine weichgespülte “Am Ende sind wir doch alle Menschen”-Rhetorik, verwässerte kölsche Wohlfühl-Weltoffenheit, die niemandem weh tut und deshalb auch nichts erreicht. Und vor allem: Diejenigen, die weder Kapazitäten haben noch in der Pflicht stehen, Kritik wohltemperiert vorzutragen, würden indirekt dem Vorwurf ausgesetzt, zu laut, zu schrill, zu extrem zu sein. Und auch dafür gibt es auch schon einen Begriff: Tone-policing.
Kritik an rassistischen Äußerungen darf eben auch so formuliert werden, dass am Ende nicht alle applaudieren. Der Protest der Kleinanleger am Meinungsmarkt gegen #DieLetzteInstanz hat es geschafft, den WDR derart unter Druck zu setzen, dass dieser den Ankauf solcher von Frank Plasberg produzierten Gaga-Unterhaltungsformate nicht mehr ohne weiteres absegnen wird. Hoffentlich. Denn erst wenn’s wirklich unangenehm wird, kann sich was bewegen. Und uns am Ende näher zusammen bringen.
Foto: Susi Bumms