04. Dezember 2020
Kolumne von Dax Werner
In Zeiten von Pandemie und Kontaktbeschränkung ist es bestimmt vielen wie mir gegangen: Fast hätte man verpasst, dass Deutschland, Frankreich und Österreich nach den Anschlägen von Dresden, Paris, Nizza und Wien sich am 10. November darauf verständigten, “entschiedener gegen islamistischen Terror” vorzugehen.
Eine besondere Rolle übernahm dabei der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Dieser sorgte schon am späten Abend des Anschlags in Wien für einen surrealen TV-Moment: Als der ORF für ein Interview zu ihm schaltete, sahen die ZuschauerInnen, wie dieser gerade eine Rede vor Kameras übte und in dieser vermeintlich unbeobachteten Situation schon einmal probte, wie leicht ihm später wohl das Wort “islamistisch” über die Lippen gehen würde – allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem über die Hintergründe des Anschlags noch sehr wenig bekannt war.
Aus der frühen Ahnung des Kanzlers wurde bekanntlich Gewissheit. Beim EU-Gipfeltreffen gegen den Terror nannte Kurz dann drei für ihn wesentliche Punkte in diesem Kampf: Ein “robusteres Vorgehen” gegen die Tausenden Terrorkämpfer, die beispielsweise aus Syrien nach Europa zurückkehren, einen koordinierten europäischen Kampf gegen den “politischen Islam” und einen “ordentlichen Schutz der europäischen Außengrenzen”.
Was Kurz und die EU hier vorhaben, ist natürlich gleich mehrfach bemerkenswert. Zwar noch unter dem Eindruck des Anschlags in Wien und auch denen davor in Frankreich und Deutschland, trotzdem jedoch schon wieder im Halbschatten der Pandemie, soll Europa nun noch mehr zur Festung ausgebaut werden, um, so die Begründung, die Bewegungsfreiheit in Europa selbst gewährleisten zu können. Man mag sich gar nicht so richtig vorstellen, wie eine Aufrüstung der Außengrenzen der EU tatsächlich aussehen soll, wo doch schon jetzt, zum Beispiel Ende November, deutsche Bundespolizisten griechischen Grenzern dabei helfen, Flüchtlinge in der Ägäis auf dem Meer auszusetzen (übrigens bislang ohne Konsequenzen). Genauso wenig lässt sich genügend Fantasie aufbringen, dass das neue Flüchtenden-Lager Moria II auf Lesbos mit über 7.000 Bewohner:innen und einem Anteil von 38 Prozent Kindern “uns” in Europa irgendwie sicherer vor Anschlägen macht. Aber you do you, Europa.
Auch wenn Angela Merkel betonte, dass es nicht um eine “Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum” gehe: Wenn sie glaubt, dass es darum überhaupt nicht ginge, warum macht sie dann dieses Fass überhaupt auf? Wahrscheinlich nicht ohne Grund: Dass jetzt vom “politischen Islam” die Rede ist, ist eine rhetorische Eskalation; eine Art Überbau, um die Chance zu nutzen, die Abschottungs- und Pushback-Politik an den Außengrenzen in Zeiten der Pandemie noch weiter zu verschärfen, ohne dass es groß wen juckt.
Und natürlich haben die angekündigten Maßnahmen auch nur einen begrenzten Effekt, wenn die Mitgliedstaaten selber ihre “Hausaufgaben” nicht machen. Denn wie nach und nach öffentlich wurde, gab es im Vorfeld der meisten als islamistisch gelabelten Anschläge der letzten Monate häufig schon im Vorfeld Warnungen und Hinweise an die jeweiligen Ermittlungsbehörden – die offenbar jedoch nie so richtig ausreichten, damit diese ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen.
Auch wenn es auf den ersten Blick polemisch klingen mag: Wenn es den europäischen Regierungen wirklich darum ginge, Menschenleben zu retten – und zwar in weitaus größerer Zahl als die, die durch islamistischen Terror in Europa bedroht sind – könnten sie ja (und man traut es sich ja kaum noch zu schreiben, weil es inzwischen so absurd klingt) einfach endlich für sichere Fluchtrouten sorgen. Oder für eine über Europa hinweg einheitlich koordinierte, von wissenschaftlichen Erkenntnissen geleitete Corona-Strategie.
Man kann sich allerdings schon denken, dass es mit beidem erst einmal nichts wird. Stattdessen hat EU-Kommissionschefin von der Leyen angekündigt, am 9. Dezember eine Agenda zur Terrorismusbekämpfung zu präsentieren. Bei manchen Themen geht’s eben ganz schnell.
Foto: Susi Bumms