13. April 2021
Es war ein bewölkter, leicht vernieselter Samstag, als am 18. Februar 1961 in Aachen ein kleiner Mann zur Welt kam. Weil er der Erstgeborene war, nahm sich sein Vater, der ein Bergmann war, einen halben Tag frei, um der Niederkunft beizuwohnen. Der Regen prasselte dumpf auf das grün bewachsene Dach des bescheidenen, damals in Nordrhein-Westfalen weit verbreiteten Torfhauses, im Kamin knisterte ein wenig Reisig und ein Kessel mit Steckrübeneintopf köchelte unbeeindruckt mitten über der Feuerstelle im Wohnraum der Laschets. Vater Laschet drehte den Neugeborenen so, dass das wenige Licht des Feuers das Gesicht des Juniors aufhellen konnte, und blickte ihn lange nachdenklich an. Dann war es entschieden: „Armin sollst du heißen.“
Die ersten Jahre waren karg und spärlich. Während die Menschen im nur einen Tagesmarsch entfernten Bonn inzwischen mit Automobilen durch die Gegend fuhren und sich ganz Westdeutschland plötzlich Urlaub in Italien finanzieren konnte, schuftete man in Aachen-Burtscheid tagaus tagein im Bergwerk. Das an Überraschungen arme Leben der Laschets wurde nur aufgelockert durch die unterschiedlichen Jahreszeiten und den Sonntagen, die der Kirche und dem Glauben galten. Schon früh entwickelte der junge Armin ein großes Interesse am Katholizismus, manchmal, nach einem langen Tag im Berg, wenn der Steckrübeneintopf verputzt und die Spitzhacke poliert war, träumte er davon, eines Tages selbst vor der Gemeinde zu stehen und in prächtigem Gewand aus der heiligen Schrift zu lesen. „Lass man“, knurrte der Vater dann, der aus irgendeinem Grund Armins Gedanken lesen konnte. „Dafür muss man Lesen können. Und dafür haben wir keine Zeit.“ Da lernte Armin, dass es nicht nur gefährlich war, die eigenen Wünsche auszusprechen, sondern mitunter sogar, sie nur zu denken.
Als Armins zwölfter Frühling begann, war es Zeit für ihn, auf Wanderschaft zu gehen. Wortlos packte er seinen Beutel und band diesen um einen Stock, seinen Lieblingsstock. Als er einen letzten stummen Gruß in Richtung seines elterlichen Torfhauses warf, schlurfte ihm sein Vater mutlos aus Richtung des Bergwerks entgegen. „Die großen Herren haben das Bergwerk geschlossen,“ flüsterte er und sah Armin eindringlich an. „Stichwort Strukturwandel.“ Lange kramte der Vater in seiner rechten Hosentasche, die Sonne stand schon hoch an diesem Tag, als er plötzlich einen funkelnden Taler in der Hand hielt. „Das ist der Bergmannstaler“, sagte Vater Laschet. „Nimm ihn an dich, Armin, dir soll er einmal mehr Glück bringen als mir.“ Armin nahm den Taler und hielt ihn vor die zugekniffenen Augen. „Danke“, sagte er und machte sich sodann zu Fuß auf den Weg in die sagenumwobene Hauptstadt des Landes. „Wollen doch mal sehen, wie weit mich der Taler bringt.“
In Bonn angekommen schloss Armin sogleich Freundschaft mit einigen anderen jungen Gesellen: Sie hießen Friedrich oder Norbert, stammten aus allen Winkeln und Ecken des Landes und waren in die Hauptstadt gekommen, um es zu etwas zu bringen. Mitunter, wenn die Stimmung besonders lustig war, zeigte Armin den Bergmannstaler unter seinen Freunden und erklärte ihnen, dass dieser ihn mit magischen Fähigkeiten ausstatten würde. Sein Umfeld glaubte nicht an Zauberei und tat die Worte als typische Spinnerei eines einfachen Jungen aus den Aachener Bergen ab, staunte jedoch nicht schlecht, als Armin erst Schreiberling in Bonn und, etwas später, plötzlich Minister in Düsseldorf wurde. „Etwas ist an diesem Bergmannstaler, das mich unruhig machte“, dachte sich sein Freund Friedrich. „Offenbar geht von ihm eine große Magie aus.“ Und schon damals ahnte er, dass sich die Wege der beiden in diesem Leben noch einmal aufs Dramatischste kreuzen würden.
Armin schraubte jedoch fürs Erste weiter an seiner Karriere in Düsseldorf. Als die damalige Regentin Hannelore kurz vor einer Wahl plötzlich Schwäche zeigte, sah er seine Zeit gekommen. Bei Hof ging das Gerücht herum, dass sie amtsmüde sei. „Wenn nicht jetzt, wann dann“ summte Armin seine Lieblingsweise einiger Musikanten, die sich zu seinem Unverständnis „Die Hühner“ nannten. „Sei’s drum“, dachte er bei sich, „die Jungs machen auf jeden Fall ordentlich Stimmung!“ Er wartete den nächsten Vollmond ab und wanderte bei Mitternacht zu einer bestimmten Stelle des Rheins. Dann rieb er an dem Bergmannstaler. Er spürte noch einen kalten Windhauch, als plötzlich der sagenumwobene Wolfgang neben ihm erschien. „Sie haben mich jerufen, somit steh isch zu ihren Diensten“, singsangte der sagenumwobene Wolfgang im tiefsten Rheinisch. Von da an war der sagenumwobene Wolfgang sein treuer Adlatus, Strippenzieher und Berater. Und, zur großen Überraschung aller, gewannen sie gemeinsam die Wahl von Düsseldorf. Armin war dank des Bergmannstalers am vorläufigen Höhepunkt seiner Macht angekommen, doch er dürstete nach mehr. Sogar viel mehr…
Fortsetzung folgt.
Foto: Susi Bumms