„So sollte Mensch sein.“

„So sollte Mensch sein.“

04. März 2023

Im Gespräch mit Sebastian Herzberg über seine Zeit als Koch auf der RISE ABOVE.

Audio zum Interview

„Ich bin nicht unbedingt ein Mensch der vielen Worte.“ ‒ Das teilte mir Sebastian vor unserem Gespräch mit. Doch wenn Menschen über etwas sprechen, das Ihnen am Herzen liegt, kommen die Worte oft von ganz allein. Und so wurde es ein besonders offenes und herzliches Gespräch, das noch Tage danach in meinem Kopf nachklingt. Sebastian Herzberg war auf drei Missionen als Koch mit an Bord der RISE ABOVE. Das erste Mal im Dezember 2021, danach im Juli 2022 und zuletzt im Dezember letzten Jahres. Trotz der Herausforderung in der kleinen Schiffsküche für bis zu 90 Menschen zu kochen, war die gemeinsame Zeit, die er mit der Crew und den Gästen verbrachte, für ihn eine ganz besondere, die ihm persönlich sehr viel gegeben hat. Es ist eine Geschichte über Menschlichkeit, über Momente, die bleiben und über das Abschiednehmen und Zurückkommen.

Sebastian, du warst als Koch bei insgesamt drei Missionen mit an Bord der RISE ABOVE. Wie ist das, Koch auf einem Rettungsschiff zu sein?

Es ist intensiv und anstrengend. Wenn nur die Crew da ist, ist es auch ein bisschen muckelig und es wird dann viel erzählt, gekocht und gebacken. Das ist schon schön. Aber mit Gästen an Bord ist es natürlich eine Herausforderung. Der Seegang, die kleine Küche, die vielen Menschen und dann sollte das Essen natürlich auch pünktlich sein. Man ist auch oft allein. Erstens ist zu wenig Platz in der Küche für mehrere Personen, denn wenn ich am Herd stehe und mich umdrehe, bin ich bereits beim nächsten Schrank. Außerdem hat jede:r seine Aufgabe. Es ist eine extreme Herausforderung, aber es macht auch enorm viel Spaß.

Bis für wie viele Menschen musstest du in der kleinen Küche kochen und was gab es?

Inklusive Crew waren es um die 90 Menschen bei jeder Mission. Aber wie das genau ablief, war von Mission zu Mission unterschiedlich. Bei der letzten im Dezember habe ich zwei Mahlzeiten pro Tag zubereitet, weil es einfach kräfteschonender für alle ist und die Gäste auch viel Ruhe brauchen. Das war eine gute Entscheidung meiner Meinung nach. Es ist nicht so einfach 90 Menschen auf einem so kleinen Schiff mit Essen zu versorgen und bei Seegang ist es auch eine Herausforderung dieses zu verteilen. Bei zwei Mahlzeiten pro Tag hatte ich Zeit ausreichend und meiner Meinung nach gutes Essen zuzubereiten und zwischendurch auch mal ein paar Gimmicks anzubieten. Die Gerichte sollten dabei relativ einfach sein. Also Eintöpfe, Gerichte mit Reis oder Couscous und auch Pasta wird gerne angenommen. Morgens gab es meistens süßen Couscous mit Trockenobst.

Das klingt lecker. Hast du vorher bereits ähnliche Erfahrung gemacht so viele Menschen zu bekochen bzw. warst du zuvor schonmal auf einem Schiff?

Ja, ich war mit etwa 20 schonmal auf einem Schiff, allerdings nicht als Koch, sondern als Kommunikator. Und was das Kochen angeht, hatte ich zuvor schon die Erfahrung gemacht für viele Menschen zu kochen ‒ in KüfAs (Küche für Alle) oder auf Veranstaltungen. Ich war zum Beispiel Backstage-Koch auf der Fusion. Von daher war ich das schon gewohnt. Aber beides zu verbinden ‒ die Seefahrt und das Kochen ‒ das war meine erste Erfahrung und es war definitiv eine Challenge. Aber es war immer schön.

Hattest du auch mit der Seekrankheit zu kämpfen?

Wenn man den Hafen verlässt, merkt man den Seegang sehr. Die ersten ein bis zwei Stunden hatte ich auch immer damit zu kämpfen, aber danach nicht mehr. Als Koch auf der RISE ABOVE sollte Mensch auch seetauglich sein, weil alles, was unter Deck abläuft, ist bei Seegang eine Herausforderung. Denn man sieht nichts, weder den Horizont noch die Wellen. Zudem ist es sehr heiß unten und die Luft ist durch die Dämpfe und Gerüche nicht besonders angenehm.

Warum hattest du dich damals entschieden mit auf Mission zu fahren? Gab es einen Auslöser und wenn ja, welchen?

Es gab mehrere Auslöser, auch private. Es war ja die Zeit von Corona. Ein paar Jahre zuvor hatte ich eine nicht so leichte Zeit in meinem Leben und das Kochen half mir damals wieder mehr bei mir zu sein. Doch durch die Pandemie ist das alles weggebrochen, was schwierig für mich war. Hinzu kam, dass ich Mission Lifeline auch schon kannte und sehr aktiv in der Szene war. Ich wollte mir mal anschauen, wie es wirklich ist. Mir mein eigenes Bild machen und die Seenotrettung nicht nur vom Hören oder aus den Medien mitbekommen. Und dann gab es noch den privaten Aspekt endlich wieder auf See fahren zu können. Als ich damals vor 20 Jahren damit aufgehört hatte, dachte ich nicht, dass es so lange dauert, bis ich wieder auf einem Schiff bin. So hat sich einfach vieles verbunden. Und ich glaube, es war eine der besten Entscheidungen, die ich treffen konnte. Die Zeit auf der RISE ABOVE hat mir sehr, sehr viel gegeben.

Du hast mir im Vorgespräch bereits erzählt, dass alle drei Missionen für dich sehr intensiv waren ‒ sowohl körperlich als auch emotional. Kannst du ein bisschen näher darauf eingehen, warum es so intensiv für dich war?

Die erste und die dritte Mission waren für mich besonders intensiv. Die erste zum einen, weil ich nach so langer Zeit wieder auf See war und zum anderen, weil ich erstmalig damit in Berührung kam, was zivile Seenotrettung wirklich bedeutet. Diese Mission war auch das erste Mal, dass auf der RISE ABOVE Gäste an Bord waren und deswegen auch eine besondere Herausforderung. Alles war noch neu und im Lernprozess. 
Und bei der dritten Mission im Dezember, war bereits klar, dass diese vorerst meine letzte sein würde. Der Abschied von der Crew war nicht einfach für mich, denn wir sind sehr zusammengewachsen und haben viel gemeinsam erlebt. Ich war sehr berührt und hatte auch ein paar Schwierigkeiten wieder in meinem Alltag anzukommen. Es nahm mich sehr mit ‒ also im positiven Sinne. Bei unserer ersten Mission hatten wir zum Beispiel eine kleine Poststation eingerichtet und uns Briefe geschrieben, wie wir die Zeit miteinander empfunden haben. Ich nehme mir heute noch manchmal diese Briefe zur Hand und lese sie mir durch, wenn es mir mal nicht so gut geht.


Wie schön! Deine Erfahrung zeigt, dass Engagement nicht nur anderen Menschen hilft, sondern einem auch persönlich sehr viel geben kann. Magst du noch ein bisschen genauer darauf eingehen, was es dir persönlich gegeben hat, dich aktiv zu engagieren?

Natürlich hatten die Gäste alle ihre Schicksale. Wir kamen oft mit den Menschen ins Gespräch und konnten dadurch einiges von ihnen erfahren. Nach einem Tag an Bord, merkte man aber auch ihre Erleichterung und man wächst ein Stück weit zusammen. Wir konnten den Menschen ein Stück Hoffnung geben und es war spürbar, wie sie aufblühten, sobald sie realisiert hatten, dass sie in Sicherheit waren. Wir hatten auch immer ‒ und insbesondere bei der letzten Mission ‒ viele Kinder an Bord. Ich war nicht nur Koch, sondern auch einer der Personen, die die Menschen vom RHIB (Rigid-Hulled Inflatable Boat) auf die RISE ABOVE nehmen. Darunter kleine Kinder, bis auf die Haut durchnässt. Ich habe selbst Kinder, es war sehr emotional. Und zu sehen, wie diese Kinder langsam anfangen sich Spielsachen zu suchen und wie Leben in diese Gruppe kommt, war sehr schön. Oder der Moment, als wir die Kinder und die anderen Gäste in Italien den Behörden übergeben konnten und von vielen Menschen Zuspruch bekamen. Da sind wir auch als Crew zusammengerückt und haben uns in den Arm genommen. Ich kann mich auch erinnern, dass sich einer der Gäste nach dem Essen bei mir bedankte und sagte, mein Essen schmecke wie zu Hause. Das sind so Momente, die sehr berühren. Das bleibt lange im Kopf.

Gab es noch weitere prägende Momente, die dir im Kopf geblieben sind?

Ja, da gab es einige und einzelne herauszupicken ist ganz schwer. Wir hatten zum Beispiel einen Gast, der war etwa 12 Jahre alt und unbegleitet. Er konnte sehr gut Englisch und wir unterhielten uns viel. Zu merken, wie er immer weiter aufblühte, war zum Beispiel so ein Moment. Oder als mich ein Gast am letzten Tag nochmal in den Arm nahm und ein Foto machen wollte. Einfach, damit er das nicht vergisst. Ich kann mich auch noch erinnern, wie ich ein etwa zweijähriges Kind an Bord nahm. Es war ganz ruhig, weinte nicht und schaute mir die ganze Zeit in die Augen. Das sind Momente, die bleiben. Oder wenn ich mir die Fotos von der Mission anschaue und mir bewusst wird, dass wir diese Menschen finden und retten durften. Denn da war teilweise auch viel Glück dabei. Ich bin sehr dankbar, wenn ich mir die Fotos anschaue.

Man sieht und hört es dir auch wirklich an, dass dir die Missionen selbst viel gegeben haben. Und dass es trotz der ganzen Notlage, die dahintersteckt, dennoch auch eine positive Zeit war. Du erwähntest bereits, dass Dezember 2022 vorerst deine letzte Mission war. Magst du erzählen, warum?

Der Hintergrund ist, dass sich das Leben ja auch wieder normalisiert hat und ich für mich nun erstmal schauen muss, wohin mein Weg geht. Was ich ganz genau weiß, ist, dass ich die zivile Seenotrettung auch in Zukunft gerne in mein Leben integrieren möchte. Ich möchte auch in naher Zukunft wieder auf Mission fahren. Aber dafür muss ich auch in meinem Leben einen Background haben. Als ich die RISE ABOVE letzten Winter verließ, gab es den Moment, in dem ich das Gefühl hatte, nicht zu wissen, wohin meine Reise nach dem Einsatz geht. Nicht in einen Raum zurückzukommen, in dem ich mich safe fühle. Genau das möchte ich aber gerne für mich haben: nach einer Mission das Gefühl haben anzukommen und nicht nur etwas zu verlassen.

Ich kann dich gut verstehen. Ich kenne das Gefühl von etwas zurückzukommen und dabei aber nicht das Gefühl zu haben heimzukommen. Das ist nicht schön…

Ich habe hier liebe Menschen, so ist es nicht. Aber es ist eine andere Welt und die Begegnungen mit den Menschen des Vereines, der Crew und den Gästen bedeuten mir sehr viel. Ich möchte am Ende einer Mission aber sagen können „bis zum nächsten Mal“ und dabei wissen, dass ich bis dahin an einem Ort sein werde, an dem es für mich ebenso weitergeht. Zudem habe ich auch Kinder und möchte auch da präsent sein.

Das ist völlig verständlich und legitim. Man kann sich viel einsetzen, aber man braucht auch immer mal eine Pause und muss wieder zu sich selbst kommen. Das ist sehr wichtig. Möchtest du zum Abschluss noch etwas loswerden?

Vielleicht etwas an die Menschen, die so eine Mission über social media begleiten. Ich finde es großartig, welchen Zuspruch wir auf den sozialen Medien bekommen. Dass die Menschen uns zeigen, dass wir eine gute Sache machen. Das gibt einem sehr viel. Ich habe aber auch manchmal den Begriff „Held“ gelesen und das löst in mir ein komisches Gefühl aus. Natürlich ist das, was wir oder was andere Menschen in der zivilen Seenotrettung tun, ganz wichtig. Menschen zu helfen, die keine Lobby haben und die unter dem Radar schwimmen. Aber Helden? Ein Held ist für mich etwas anderes, etwas ganz Besonderes. Ich finde es nicht heldenhaft, weil ich glaube, dass es einfach menschlich ist und es sollte nicht außergewöhnlich sein. Sondern so sollte das sein. So sollte Mensch sein. Ein Held ist für mich jemand in einem roten Cape. Aber das nicht. Das ist menschlich.
Und wir sollten nicht wegschauen. Es ist wichtig das eigene Innere zu schützen, das ist ganz klar. Aber wegschauen sollten wir nicht. Das können und wollen wir auch nicht mehr ‒ und das ist gut so.

Das Gespräch führte Kathi Happel

Foto: Johannes Räbel

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