Der Mission Lifeline #UkraineKonvoi – die ersten Tage

Der Mission Lifeline #UkraineKonvoi – die ersten Tage

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22.02.2022
Russlands Präsident Wladimir Putin erkennt die Unabhängigkeit der selbst ernannten „Volksrepubliken Lugansk und Donezk“ anordnet die Entsendung von Truppen in die Ostukraine an. In einer Fernsehansprache spricht er trotz fehlender Beweise von einem Massenverbrechen am russischstämmigen Volk in der Ostukraine. „Die sogenannte zivilisierte Welt zieht es vor, den von Kiew begangenen Genozid im Donbass zu ignorieren“, so Putin. Vier Millionen Menschen seien betroffen. Die USA hatten Russland zuletzt beschuldigt, möglicherweise den Vorwurf des Völkermordes als Vorwand für eine Invasion nutzen zu wollen.

23.02.2022
Russland greift die Ukraine an. Der ukrainische Präsident Selenskyj verhängt das Kriegsrecht. Nach dem Angriff russischer Truppen werden aus mehreren ukrainischen Städten in Explosionen und Todesopfer gemeldet.  Selenskyj ordnet eine allgemeine Mobilmachung an, was die Einberufung von Wehrpflichtigen und Reservisten vorsieht. Männer im wehrfähigen Alter dürfen das Land damit nicht mehr verlassen.

24.02.2022
Die russische Luftwaffe greift im ganzen Land Militärstützpunkte an. Bodentruppen rücken von Norden, Süden und Osten ins Land ein. Im ganzen Land finden bereits Kämpfe statt. Nach Angaben des UNHCR sind bereits 100.000 Menschen aus der Ukraine auf der Flucht. In mehreren russischen Städten gehen mutige Menschen aus Protest gegen den Krieg auf die Straße. Es gibt hunderte Festnahmen. In vielen Städten Europas und der Welt bekunden die Menschen ihre Anteilnahme für die Ukraine und protestieren gegen Putins Krieg.

Worte, Gebete und Mahnwachen sind nicht genug. Wir suchen ab sofort nach Möglichkeiten, um Menschen zu helfen, die aus der #Ukraine fliehen müssen.

Wir haben uns entschlossen, einen Konvoi an die slowakisch-ukrainische Grenze zu entsenden. Dort werden wir Menschen unterstützen, die versuchen, aus dem Krisengebiet nach Deutschland zu fliehen.

25.02.2022
Das Projekt #UkraineKonvoi ist gestartet. Wir studieren Karten, sammeln Informationen und prüfen Infrastrukturen in den Grenzregionen. Wir entscheiden uns für den Grenzübergang Uschhorod–Vyšné Nemecké. Fahrer:innen mit Fahrzeugen werden hauptsächlich aus den eigenen Reihen für einen 1. Konvoi an die ukrainische Grenze zusammengetrommelt. Ein Backoffice wird eingerichtet, das ab sofort mit einem Team aus rund um die Uhr koordinierend tätig ist. Wir rufen dazu auf, uns als Fahrer:innen, mit Unterbringungsmöglichkeiten und Spenden zu unterstützen.

Gegen 18 Uhr, ein knapper Tag nach unserem Entschluss, Menschen auf der Flucht aus der Ukraine zu helfen, verlässt unser 1. Konvoi Dresden in Richtung Slowakei-Ukraine.

Fotos: Clemens Ledwa

26.02.2022
In den frühen Morgenstunden kommt der Konvoi in der Slowakei an. Die Fahrer:innen haben sich einige Kilometer vor der Grenze eine Übernachtungsmöglichkeit gesucht und fallen gegen 6 Uhr ins Bett. Einige Stunden Schlaf, bevor es weiter an den Grenzübergang geht. Niemand weiß, was uns dort erwartet; wir müssen wenigstens ein bisschen ausgeruht sein. Auch für die Menschen in den Backoffices war die Nacht sehr kurz. Auf unseren Aufruf melden sich unglaublich viele Menschen, die bereit sind, sofort zu helfen. Sie stellen sich als Fahrer:innen zur Verfügung und/oder bieten Unterbringungsmöglichkeiten für die flüchtenden Menschen an. Zwei Datenbanken entstehen, sie immer weiter wachsen: eine, die die die Konvois organisiert und potentielle Fahrzeuge mit Fahrer:innen, Passagierkapazitäten und verfügbaren Zeiträumen listet und eine, in denen potentiell Unterkünfte in ganz Deutschland, Österreich und auch der Schweiz gesammelt werden.

In Vysne Nemecke erkundet unser Team nach sehr wenigen Stunden Schlaf am Vormittag die Lage am Grenzübergang. Von weitem wirkt das gesamte Grenzgebiet auf slowakischer Seite wie buntes Markttreiben, erst beim Näherkommen sehen wir, was es wirklich ist. Schnell aufgebaute Nothilfestrukturen. durchsetzt mit parkenden Autos überfüllt. Auf einer Strecke von mehreren hundert Metern vor dem eigentlichen Grenzübertritt parken hier rechts und links der Straße Autos: Freunde, Angehörige von Menschen in der Ukraine, die zum Teil seit Tagen in ihren Fahrzeugen darauf warten, ihre Liebsten in Empfang nehmen und in Sicherheit bringen zu können. Überall sind Zelte mit Bänken und Tischen aufgebaut, an denen es warme und kalte Getränke, sowie Essen gibt. Wir nehmen Kontakt zu den vorhandenen Organisationen auf, um die Hilfe, die benötigt wird, bestmöglich zu koordinieren.

Der Grenzübergang selbst wirkt geschlossen. Auf ukrainischer Seite haben sich kilometerlange Schlangen gebildet. Etwa 12.000 Menschen warten schon jetzt darauf, die Grenze passieren zu können. Der bürokratische Prozess scheint hier sehr zäh zu sein.

Die Malteser sammeln auf slowakischer Seite Sachspenden und Hilfsgüter; sie haben zudem eine Art Infopunkt eingerichtet, wo Hilfsangebote eingetragen werden können. Im Backoffice in Dresden versuchen wir unterdessen die tausenden Zuschriften und Hilfsangebote zu sammeln. Wir beantworten rund um die Uhr Anfragen auf Twitter, Instagramm, Facebook, per Mail und Telefon, die im Sekundentakt ankommen. Unsere Datenbank mit potentiellen Fahrer:innen füllt sich. Wir beginnen weitere Konvois zusammenzustellen. Eine webbasierte Datenbank ist entstanden, wo hilfsbereite Menschen ihre Unterbringungsmöglichkeiten eintragen können: https://mission-lifeline.de/unterkunft-bereitstellen/
Unser Team an der slowakisch-ukrainischen Grenze reagiert unterdessen weiter flexibel auf die aktuelle Lage. Immer mehr Menschen, wohl einige Zehntausende, harren auf ukrainischer Seite aus. Weil die Abfertigung sehr lange dauert, kommen kaum Menschen in die EU. Wir bleiben und stehen bereit.

In der Nacht kümmern wir uns um 15 nigerianische Staatsangehörige, Student:innen der Universität in Kiew, die überall abgewiesen worden und nun hier gestrandet sind. Der Rassismus, der diesen PoC auch in Zeiten des Krieges entgegenschlägt, macht uns fassungslos. Unsere Teams in Backoffice Dresden und Vyšné Nemecké organisieren nun ihre Weiterreise sichere Unterbringung in Österreich und Deutschland.

Fotos: Clemens Ledwa

27.02.2022
Ein 2. Konvoi wurde zusammengestellt und wird gegen Mittag zur slowakischen Grenze aufbrechen. Um die Infrastruktur in den Grenzgebieten nicht noch mehr zu überlasten, raten wir in den Sozialen Medien dringend davon ab, sich auf eigene Faust mit kleinen Fahrzeugen auf den Weg zu machen. Wir suchen jetzt Fahrer:innen mit ausreichend großen Fahrzeugen für jeweils mehrere Personen. Diese bitten wir um Kontaktaufnahme, um unsere Datenbank weiter zu füllen.
Die Hilfsbereitschaft ist nach wie vor überwältigend. Stündlich erhalten wir über alle verfügbaren Kanäle tausende Zuschriften.

Die Nachrichten aus Russland und der Ukraine lassen uns nicht kalt. In Moskau sind viele Menschen aus Protest gegen Putins Krieg auf die Straße gegangen. Es gab hunderte Festnahmen. Unsere Bewunderung, unsere Solidarität und unser Hilfsangebot gelten besonders auch diesen tapferen Menschen, die sich gerade dort dem Wahnsinn entgegenstellen.
Wir reagieren unterdessen weiter sehr flexibel auf die Situation am Grenzübergang. Nachdem wir die nigerianischen Menschen bei uns untergebracht hatten, konnten wir sie auf die Reise schicken. Auch ihre Unterbringung an den Zielorten ist abgesichert.

28.02.2022
Unser Team aus #Wien bringt marokkanische Student*innen nach #Österreich.
Am Nachmittag schicken wir zwei weitere Autos mit insgesamt 10 Personen nach Wien. Mit an Bord einen Mann im Rollstuhl und einen süßen kleinen Hund.
Ein weiteres Fahrzeug wird mit mehreren Personen auf die Reise geschickt. Diesmal geht es nach Görlitz, wo eine Unterkunft mit großartigen Gastgebern zur Verfügung steht.
Immer wieder treffen völlig erschöpfte PoC – hauptsächlich Student:innen – an der Grenze ein. Der Rassismus, der diesen Menschen entgegenschlägt, sogar in einer Situation, in der ganz Europa angeblich „geeint und solidarisch“ auftritt, verschlägt uns oft die Sprache. Meist sind wir hier die ersten, die sich dieser Menschen annehmen und für ihre sichere Weiterreise und Unterbringung sorgen.

Unterdessen erreichen uns Nachrichten und ein Bild von unserem Schiff in Spanien, wo es in der Werft zur Wartung liegt. Unser Team dort hat ein großes Soli-Banner gemalt und das Schiff damit geschmückt. Die tollen Menschen dort haben nicht nur goldene Mechanikerhände und großen Ehrgeiz, das Schiff für die nächste Mittelmeermission flott zu machen, sondern auch ein ganz großes Herz für die Menschen in der Ukraine. Überhaupt tut uns der Teamspirit sehr gut: Obwohl wir aktuell verstreut in Spanien, Griechenland, Afghanistan, Deutschland bzw. in unseren Backoffices in Dresden, sowie auf Autobahnen und an der slowakischen Grenze arbeiten, halten wir alle zusammen wie Pech und Schwefel: Für das Leben und gegen den Tod!

01.03.2022
Wir schicken immer mehr Konvois von Dresden auf die Reise nach Uschgorod. Auch ein Reisebus ist inzwischen unterwegs. Umgekehrt werden täglich Menschen an der Grenze in Empfang genommen, auf Autos verteilt und in vorher organisierte Unterkünfte in Deutschland oder Österreich gebracht.

Unterdessen erreichen uns hässliche Nachrichten von einem unserer Teams auf der Rückfahrt. Die österreichische Polizei weist eine von uns transportierte PoC Familie mit einem zwei Monate alten Kind, das einen Aufenthaltstitel in der Ukraine hat, ab. Zudem werden wir der Schleuserei bezichtigt. Wir werden seit Stunden festgehalten, weil die Polizisten die Rechtslage nicht kennen. Das ist in vielerlei Hinsicht falsch. Es gilt die „Temporary Protection Directive“, die besagt, dass sich ALLE Flüchtlinge, egal welcher Nationalität, ab Flucht über die Grenze 90 Tage lang frei im Schengen Raum aufhalten können. Irgendwann lässt man die kleine Familie durch. Sie melden sich später mit einem Video aus Wien bei uns, um uns zu danken und von ihrer Flucht zu erzählen. Wir sind erleichtert, dass sie in Sicherheit sind.

Im Backoffice klingeln ununterbrochen Telefone, in verschiedensten teils riesigen Signalgruppen werden alle Fahrten koordiniert. Wir beantworten ununterbrochen tausende Mails und Direktnachrichten auf Twitter, Facebook und Instagram. Wir kaufen so viele Powerbanks wie möglich, um sie den Menschen, die zum Teil tagelang an der Grenze auf der Straße ausharren müssen, zu geben. Es sind Frauen und Kinder, die ihren zurückgebliebenen Familienangehörigen, ein Lebenszeichen geben möchten und natürlich irgendwann keine funktionierenden Handys haben. Ein Unternehmen schenkt uns zusätzlich eine Kiste voll. Jeder Konvoi, der startet nimmt solche wichtigen Dinge mit an die Grenze, die unser Team entweder selbst benötigt oder verteilt.

Ein Unternehmen, dass sehr leckere Getränke macht und immer wieder mit guten politischen Botschaften wirbt, stellt uns 10 Kisten Kola vor das Büro, damit wir wach bleiben und durchhalten. Die Hilfsbereitschaft ist wirklich überall grandios. Danke 🙂

Am Nachmittag trifft der erste gecharterte Reisebus bei unserem Team an der Grenze ein und wird mit 42 Personen gefüllt. In der Nacht starten sie Richtung Bratislava, wo 10 Personen bleiben, die 32 anderen Passagiere fahren weiter nach Zittau, wo deren Unterbringung sichergestellt wird.

02.03.2022
Früh am Morgen erreicht der Reisebus Zittau, wo die Menschen freundlich in Empfang genommen und auf Wohnungen verteilt werden.

Im Backoffice reißen die Hilfsangebote nicht ab. Inzwischen sind hunderte Fahrer:innen in unserer Datenbank. Die meisten Menschen möchten unbedingt so schnell wie möglich helfen und fragen immer wieder nach, wann sie endlich losfahren können und wo sie Sachspenden und Hilfsgüter anliefern können.

Wir entschließen uns einen Beitrag mit einem momentanen Anfragestopp für Konvoifahrer:innen zu veröffentlichen. Nach Rücksprache mit unseren Leuten in der Slowakei, müssen wir unbedingt eine Überflutung der Grenzregion mit zu vielen Fahrzeugen vermeiden. Die Infrastrukturen an allen Grenzübergängen sind bereits stark überlastet. Wir müssen gut koordiniert mit den lokalen Organisationen vorgehen. Auch die ungefragte Anlieferung von allen möglichen Hilfsgütern, Sachspenden und Medikamenten ist nicht zielführend. Teilweise ist die schiere Masse von Produkten nicht mehr händelbar. Was oft in gutem Glauben zu helfen nicht bedacht wird, ist, dass die Menschen bisher in keiner Weise unterversorgt waren. Sie kommen aus ganz normalen modernen Lebensverhältnissen und wollen die Grenze so schnell wie möglich passieren und sich dort möglichst gar nicht aufhalten. Zudem haben die slowakischen Malteser die Versorgung der Menschen am Grenzübergang sehr gut im Griff.
Wir erstellen FAQs mit den dringendsten und immer wieder gestellten Fragen zu veröffentlichen, auf die wir ab sofort immer verweisen.

An der Grenze werden unterdessen immer weiter Autos mit erschöpften Menschen auf die Reise in Sicherheit geschickt. Immer wieder auch mit Menschen besetzt, die keine ukrainischen Pässe besitzen und viele Repressalien erleiden mussten.Um diese Menschen kümmern wir uns besonders. Wir halten es nicht aus, dass sie überall Ablehnung erfahren. Irgendwie wollen wir unbedingt wieder gutmachen, was ihnen andere Europäer:innen angetan haben. Wir wissen, dass das nicht geht aber wir wissen auch, wie gut es tut, wenn man sich in der Fremde ein bisschen willkommen fühlt und in freundliche Gesichter und offene Arme blickt.

Aber auch die Schicksale von vielen Ukrainer:innen, die wir versorgen, berühren uns sehr. Eine Frau aus Kiew, die 2014 aus Lugansk dorthin fliehen musste, erzählt uns ihre Geschichte und bittet uns, sie per Video zu veröffentlichen. Sie schliesst mit den Worten: „Ich möchte Nein zum Krieg sagen. Wozu tötet man Menschen? Wofür? Das geht so nicht. Bitte, hört auf. Es reicht. Unschuldige Opfer. Es sind noch so viele Menschen dort. Bomben fallen auf friedliche Städte, Splitter treffen Häuser. Ich möchte allen sagen, hört auf zu kämpfen, legt die Waffen nieder. Bitte, bitte, wir bitten euch sehr. Wir möchten zurück in unser Land ohne Krieg. Vielen Dank eurer Organisation, dass ihr uns helft und dass Deutschland uns aufnimmt. Die Slowakei hat uns auch sehr gut empfangen. Wir sind sehr dankbar. Vielen Dank.“
Es war wieder ein sehr langer Tag. Erst weit nach Mitternacht kommen unsere Teams in der Slowakei und in Deutschland für ein paar Stunden in den Schlaf. Morgen früh geht es weiter.

03.03.2022
Tag sieben unseres #UkraineKonvoi Projekts beginnt in Dresden so, wie Tag 6 endete: telefonieren, telefonieren, telefonieren, schreiben, schreiben, schreiben, Fahrer:innen kontaktieren, Konvois zusammenstellen, notwendige Ausstattung für die Crew vor Ort beschaffen, Rechnungen begleichen, Zimmer buchen, usw. Nebenbei muss natürlich die „normale“ NGO-Arbeit weitergehen. Unsere Teams auf der Rise Above und in den anderen Projekten stehen gerade nicht so im Mittelpunkt und machen dennoch weiterhin großartige Jobs!

Langsam bekommen wir immer mehr Routine. Seit gestern ist bereits das 6. Team unterwegs und unsere Crew in der Slowakei etabliert sich immer mehr als wichtiger und integraler Teil der Hilfsorganisationsstrukturen in Vysne Nemecke. Am Nachmittag findet das zweite Treffen aller NGO´s vor Ort statt. Dies wird ab sofort täglich durchgeführt werden, um allgemeine Themen wie interdisziplinäre Zusammenarbeit, Organisation, Strukturen, Probleme etc. zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu finden.

Aus Österreich bekommen wir Unterstützung mit Rieke, die nun für zwei Wochen zur Crew gehören wird. Wertvolle Hilfe, da sie 2015 in verschiedenen Erstaufnahmeeinrichtungen gearbeitet hat und viel Erfahrung mitbringt. Unsere eigenen Strukturen bauen wir nun sukzessive aus. Wir haben ein (relativ) festes Basecamp mit Pavillon inklusive einer Art Außenbüro / Koordinationsstelle für die Crew und als Anlaufstelle für die ankommenden Menschen. Wir haben ein gut funktionierendes System entwickelt, um zu koordinieren und zu registrieren, wie die Menschen auf die Autos aufgeteilt werden und an die vorher organisierten Unterkünfte geschickt werden.

Insgesamt nimmt die Flüchtlingsbewegung von Tag zu Tag mehr zu. Immer mehr Menschen kommen bei uns an. Am Abend haben wir 12 Autos nach Deutschland und 5 Busse nach Österreich geschickt. In eins der Autos nach Deutschland setzten wir ein nur 5 Tage altes Baby, selbst die kleinste Babyschale war noch zu groß. Das kleine heimatlose Würmchen berührte uns auf besondere Weise. Dieser Scheiß Krieg!

Mit Sorge haben wir heute auf eine Veröffentlichung des BMI gewartet, was den Umgang mit den Geflüchteten anbelangt. Die Sorge war im Falle der Ukrainischen Staatsbürger:innen unbegründet; denn die EU hat schnell Einigkeit über die humanitäre Aufnahme dieser Menschen gefunden

-Sofortiger vorübergehender Schutz in der EU für 1 bis 3 Jahre
-Aufnahme ohne aufwändiges Asylverfahren
-Krankenversicherungsschutz und medizinische Versorgung
-Unterkunft
-Sozialleistungen
-Zugang zum Arbeitsmarktgemäß nationaler Arbeitsmarktpolitik
-Recht auf Bildung und Schulbesuch
-Schutz für unbegleitete Kinder und Jugendliche

Damit gelang hier innerhalb weniger Tage das, was im Falle von Geflüchteten aus „anderen Kulturkreisen“ seit 2015 nicht gelingen will. So sehr uns das für die Ukrainer:innen auf der Flucht vor diesem unsäglichen Krieg freut und erleichtert, so bitter fanden wir die Aussagen zum Umgang mit Menschen aus Drittstaaten mit nicht-ukrainischen Pässen ohne Daueraufenthaltsstatus. Diese Menschen dürfen nur in die EU einreisen, um von dort umgehend in ihre Heimatländer auszureisen. Für uns eine Art Zweiklassen-Solidarität für Kriegsflüchtlinge, die wir verurteilen. Wir werden nach wie vor BIPoC-Menschen, die bei uns ankommen, mit besonderer Fürsorge behandeln.

Am Abend in Dresden dann noch eine positive Überraschung: beim dritten Anlauf wurde Dresden per Stadtratsbeschluss mit einer Stimme Mehrheit und der üblichen Enthaltung des Oberbürgermeisters endlich zum „Sicheren Hafen“. Unglaublich.

04.03.2022
Ein neuer Tag und Team 7 macht sich von Leipzig aus auf den Weg, um morgen in der Slowakei einzutreffen und Menschen abzuholen. Im Backoffice geht die Arbeit weiter wie in den Tagen davor. Es ist kaum Entspannung oder ein Abflauen der Anfragen zu verzeichnen. Wer kann, packt mit an, auch vor und nach der eigentlichen Arbeit. Die Hilfsbereitschaft, die uns aus allen Richtungen und in allen möglichen Formen entgegengebracht wird, ist überwältigend. Kinder malen Bilder mit Botschaften für uns, Künstler veranstalten Auktionen oder Soli-Veranstaltungen zu zugunsten unseres Hilfsprojekts, die Banda Comunale spielt auf einer Friedensdemo für uns und sammelt Spenden, Prominente wie Joko und Klaas oder Bands wie die Toten Hosen, Casper und Deichkind rufen in sozialen Netzwerken zur Unterstützung auf – so viel Hilfe und Zuspruch tut uns allen gut. Daneben fallen die üblichen Drohbriefe kaum auf.
In Vysne Nemecke wird die Zusammenarbeit mit den lokalen Organisationen, besonders mit den Maltesern immer besser und professioneller. Ankommende Fahrer registrieren sich bei den Maltesern und werden dann an uns übergeben zur Koordination der Weiterreisen und Unterbringungen. Die Malteser schätzen unsere Arbeit und Anwesenheit inzwischen sehr. Wir arbeiten Hand in Hand mit ihnen, sprechen uns in Chatgruppen ab und vertrauen einander. Immer wieder werden uns auch warme Getränke oder etwas zu essen ins Zelt gebracht. Es ist fast eine kleine improvisierte Stadt entstanden mit allen notwendigen Strukturen. Wie wichtig solche funktionierenden Strukturen sind, zeigt sich, als bekannt wird, dass es Verbrecher gibt, die die grauenvolle Notlage der Menschen für ihr schändliches Geschäft auszunutzen versuchen, indem sie gezielt junge Frauen und Kinder in ihre Autos holen wollten. Die slowakische Polizei ist wachsam und die zwingend notwendige Registrierung aller Fahrer:innen, bevor man Menschen irgendwo zusteigen lässt, hilft die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Alle unsere Fahrer:innen melden sich auch immer bei uns, wenn sie die Menschen in einer Unterkunft abgeliefert haben. Wir rufen, auch aus diesem Grund im Netz immer wieder dazu auf, auf Alleingänge beim Abholen von Geflüchteten zu verzichten.

Am Ende des Tages haben wir 5 Fahrzeuge mit etwa 35 bis 40 Menschen auf die Reise geschickt. Kurz vor Mitternacht werden wir noch einmal angerufen. Wir fahren wieder zum Grenzübergang und holen eine Familie ab, die wir bis morgen früh im Hotel unterbringen.

05.03.2022
Team 8 startet in Dresden, Team 7 erreicht Vysne Nemecke in den Morgenstunden und wartet auf einem zugewiesenen Parkplatz darauf. Die Straßen sind inzwischen so verstopft und zugestellt von Autos, LKWs, Bussen, Krankenwagen und Polizeifahrzeugen, dass auch wir uns kaum noch per PKW zu unseren Einsatzorten bewegen können. Unsere Konvois parken nun etwa 1,5 km vom Übergang entfernt und warten dann darauf, dass jemand von der Crew kommt und den Fahrer:innen das weitere Vorgehen erläutert. Die Registrierung unserer Fahrer:innen bei den Maltesern übernehmen wir, um den Bereich vorm Übergang nicht noch mehr zu überlasten und Wartezeiten zu verringern. Im Basecamp werden im engen Austausch mit unserem Backoffice non-stop Listen geführt, ausgedruckt, Fahrer:innen registriert, Geflüchtete zugeordnet, Unterkünfte angeschrieben und gebucht. Bei dem riesigen Ansturm heute, zahlen sich die inzwischen erworbenen Routinen aus. Verstärkung ist angekommen. Unsere Crew vor Ort ist nun zu siebt. Auch einen Dolmetscher haben wir bei uns. Da die Konvois weit außerhalb stehen und auch wir wegen dem Verkehrchaos keine Durchfahrgenehmigung mehr bekommen, müssen wir die Menschen mit all ihrem Gepäck zu Fuß zu den Konvois bringen. Wir schleppen Kinder, ziehen Koffer und versuchen besonders den älteren schwachen Menschen (hauptsächlich Frauen) den Fußmarsch so erträglich wie möglich zu machen. Viele folgen uns mechanisch, manche versuchen zu danken aber fast alle sind sehr müde und völlig erschöpft. Oft schlafen die kleinen Kinder, sobald wir sie in ein Auto gesetzt ein, sofort fest ein.

Zusätzlich zu unseren Konvois kommen heute eine Vielzahl von privaten Fahrer:innen bei uns an. Wir versuchen sie bestmöglich mit in unsere Koordination einzubeziehen und ihnen nach ihrer Registrierung Gäste zu vermitteln. Da dies ungeplant ist, macht es uns deutlich mehr Arbeit als die Koordinierung der Konvois. Wir bekommen es aber irgendwie alles hin. Insgesamt organisieren wir heute die Weiterreise und Unterbringung von 122 Menschen. Die allermeisten fahren nach Deutschland, wenige nach Österreich. Es ist jetzt spät abends. Wir sind platt und fallen ins Bett.


Unsere erste Woche im Projekt #UkraineKonvoi ist geschafft. Unsere Arbeitsabläufe am Grenzübergang und in den Backoffices haben sich strukturiert, wir konnten Routinen entwickeln und sind so aufgestellt, dass wir auch auf Unvorhergesehenes schnell und professionell reagieren können. Dies ist auch Dank der vielen Spenden gelungen, die uns nach wie vor eine irrsinnige Hilfe sind.

Hilf uns, dem Sterben auf dem Mittelmeer etwas entgegenzusetzen.
Für ein neues Schiff, um Leben zu retten!

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