Es geht um die Rundfunkfreiheit – und inzwischen um mehr

Es geht um die Rundfunkfreiheit – und inzwischen um mehr

06. Dezember 2020

Kolumne von Ruprecht Polenz

Für den Fall, dass es der CDU in Sachsen-Anhalt um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) geht:

Der ÖRR wurde entsprechend dem BBC-Modell nach dem Krieg in Westdeutschland eingeführt, als Lehre aus der Erfahrung mit der Propaganda von Goebbels. Ich halte es für keinen Zufall, dass die Abschaffung des ÖRR zu den zentralen Kampagne-Punkten der AfD gehört. Wie biedermännisch kommt die CDU in Sachsen-Anhalt daher, dass sie diese Brandstiftungs-Strategie nicht durchschaut? Nur zu gern möchte die AfD die Landesregierung über die Rundfunkfrage stürzen.

Warum die AfD den ÖRR abschaffen will, liegt auf der Hand. Ohne ÖRR würden (noch) mehr Menschen ihrer auf Lüge und Unwahrheit gestützten Propaganda folgen. Wir brauchen Qualitätsjournalismus, damit wir den Fake News nicht auf den Leim gehen.
In der Informationsflut des Internet brauchen wir journalistisch-unabhängige Filter, die Quellen überprüfen, Informationen einordnen und uns Orientierungsmöglichkeiten geben.

Den privaten Qualitätszeitungen haben Google, Facebook und andere die Werbeanzeigen entzogen mit der Folge, dass diese Form des Qualitätsjournalismus derzeit nicht zukunftsfest finanziert ist. Entlassungen von Journalist:innen und zusammengelegte Redaktionen zeigen, wie ernst die Lage im Printjournalismus ist.

Im ÖRR ist Qualitätsjournalismus zukunftssicher finanziert. Das ist der AfD ein Dorn im Auge. Sie denunziert den ÖRR als „Staatsfunk“ und verfolgt gleichzeitig eine Politik, die den unabhängigen ÖRR erst zum abhängigen Staatsfunk machen würde. Sie möchte ihm wegen mangelnden Wohlverhaltens den Geldhahn zudrehen und denunziert ihn als „Lügenpresse“. Der Angriff der AfD zielt direkt auf die Rundfunkfreiheit.

Es ist gar nicht so einfach, Pressefreiheit so zu organisieren, dass weder Kapitalinteressen (der Eigentümer oder Werbetreibenden), noch der Staat den Inhalt beeinflussen können. Für den ÖRR ist das ziemlich gut gelungen.

Zu den Strukturprinzipien des ÖRR gehört, dass er möglichst unabhängig vom Staat organisiert ist. Wer zahlt, bestimmt. Deshalb wird der ÖRR nicht aus Steuermitteln finanziert, über deren Verwendung jährlich die Politik entscheidet, sondern aus einem Rundfunkbeitrag, den alle Haushalte entrichten, und dessen Höhe von unabhängigen Expert:innen ermittelt wird.

Eine unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) überprüft alle zwei Jahre den von den Anstalten geltend gemachten Finanzbedarf. Die 16 Mitglieder der KEF werden von den Ländern bestellt. Sachsen-Anhalt wird durch Kay Barthel, Präsident des Landesrechnungshofs, in der KEF vertreten.

Die KEF hatte den von ARD, ZDF und Deutschlandradio angemeldeten Zusatzbedarf deutlich gekürzt. Statt um 1,74 € soll der Beitrag um 86 Cent erhöht werden.

Die Länderparlamente, die diese Beitragserhöhung genehmigen müssen, sind dabei in ihrer Entscheidung nicht völlig frei. Von der Zustimmung zu einer KEF-Empfehlung dürfen sie nur abweichen, wenn dafür Gründe vorliegen, „die vor der Rundfunkfreiheit Bestand haben“, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem 8. Rundfunkurteil festgestellt. „Programmliche und medienpolitische Zwecke“ sind nicht zulässig, um von der KEF-Empfehlung abzuweichen, so ^das Bundesverfassungsgericht.

„Zu links, zu wenig ostdeutsch, zu teuer.“ Diese Argumente der CDU Sachsen-Anhalt sind aber programmlich und medienpolitisch. Das Grundgesetz schützt die Rundfunkfreiheit vor finanziellen Daumenschrauben des Staates.

Dabei liegt es durchaus in der Hoheit der Länder, dem ÖRR allgemeine Vorgaben zu machen. Aber wenn das geschehen ist, muß der ÖRR so finanziert werden, dass er diese Vorgaben erfüllen kann. Wer bestellt, muss auch bezahlen. Die unabhängige KEF ermittelt, wieviel Geld es kostet.

Es bestand vor wenigen Monaten eine gute Gelegenheit, eine umfassende Diskussion über die Struktur des ÖRR zu führen, wenn man Änderungen herbeiführen wollte. Im September 2020 hat Sachsen-Anhalt den Medienstaatsvertrag ratifiziert – ohne größere Diskussionen oder Vorbehalte. Er regelt den allgemeinen Programmauftrag, die Zahl der Anstalten und der Programme.

HIER hätte die CDU-Fraktion ihre Vorstellungen einbringen müssen. Das hat sie nicht getan. Inzwischen ist der Medienstaatsvertrag mit den Unterschriften aller Länder in Kraft getreten.

Zu den Konsequenzen aus dem Missbrauch des Rundfunks für staatliche Propaganda durch die Nationalsozialisten gehört auch, dass das Grundgesetz die Medienkompetenz den Ländern gegeben hat. Die Medienfragen, die bundeseinheitlich geregelt werden sollen, werden deshalb in Staatsverträgen geregelt, die einstimmig von allen Ländern beschlossen werden müssen.

Die Höhe des Rundfunkbeitrags muss offenkundig bundeseinheitlich geregelt werden. Dem entsprechenden Staatsvertrag, der nach 11 Jahren erstmals wieder eine Beitragserhöhung vorsieht, haben inzwischen 15 Länder zugestimmt. Die CDU in Sachsen-Anhalt gefährdet durch ihr Blockade-Verhalten den kooperativen Föderalismus.

Sie fühlt sich durch den Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen gedeckt, in dem es heißt: „Bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks halten wir am Ziel der Beitragsstabilität fest.“ Das ist aber etwas anderes als „wir schließen jede Erhöhung des Rundfunkbeitrags aus“. Beitragsstabilität ist auch gegeben, wenn in den 15 Jahren zwischen 2009 und 2024 der Beitrag einmal um 86 Cent erhöht wird.

Was passiert, wenn die CDU in Magdeburg bei ihrer Haltung bleibt? Wenn Sachsen-Anhalt den Staatsvertrag nicht bis zum 31.12.2020 ratifiziert, kann er nicht in Kraft treten. Der ÖRR, so ist zu hören, würde Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen und würde nach dessen bisheriger Rechtsprechung die Beitragserhöhung sehr wahrscheinlich zugesprochen bekommen.

Für den Fall, dass auf diesem Weg zum 31.12. die Koalition zwischen CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt zerbricht, hat deren Vorsitzender Holger Stahlknecht angekündigt: „Dann käme es zu einer CDU-Minderheitsregierung und zur regulären Landtagswahl am 6. Juni 2021.“

Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten? Toleriert von der völkisch-nationalistischen AfD, die dann indirekt mitregiert? Das würde dann auch gegen den Beschluss der Bundespartei verstoßen, die jede politische Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat.

Deshalb hat Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Freitag die Notbremse gezogen und Stahlknecht als Innenminister entlassen. Stahlknecht habe während der laufenden Bemühungen des Ministerpräsidenten, die Kenia-Koalition im Streit um den Rundfunkbeitrag zu stabilisieren, unabgestimmt und „öffentlich den Koalitionsbruch und die Möglichkeit einer allein von der CDU gebildeten Minderheitsregierung in den Raum gestellt.“ Damit sei das Vertrauensverhältnis „schwer gestört“.

Die nächsten Tage werden zeigen, ob es Haseloff gelingt, die Kenia-Koalition zu stabilisieren. Sonst triumphiert die AfD. Wenn die CDU in Sachsen-Anhalt jetzt MP Haseloff folgt, wird sie gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Sie hätte ein für allemal deutlich gemacht, dass für sie eine politische Zusammenarbeit mit der AfD nicht in Frage kommt. Ich bin sicher: die Wähler:innen würden das honorieren.

Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP

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